Wann Ist Beratung Nach Beratung?

In der Schweiz hat ein Bundesgerichtsentscheid die Diskussion über Vertriebskommissionen für Finanzprodukte geprägt. In Grossbritannien nahm der Gesetzgeber dagegen jüngst mit der Retail Distribution Review die Frage nach den sogenannten Retrozessionen selbst in die Hand. Seit Beginn des Jahres 2013 sind Provisionen der Anbieter von Finanzprodukten für Vermögensverwalter zunächst bei Neukunden untersagt. Die Gebühren für die Beratung müssen transparent angegeben werden, und zudem wurden die Anforderungen an die Ausbildung der Finanzberater nach oben geschraubt. Die Hoffnungen waren hochgesteckt: Finanzberatung sollte durch die Regulierung transparenter, fairer, besser und billiger werden. Es wäre aber zu schön gewesen, um wirklich wahr zu sein.

Die britische Regelung bedeutet, dass die Kunden für die Beratung explizit bezahlen müssen. Was zuvor häufig versteckt durch Provisionszahlungen erfolgte, wird jetzt mit einem Fixtarif, einem Stundenhonorar oder einem Anteil am veranlagten Vermögen abgegolten. Dadurch sollen Berater zu einem tatsächlich unabhängigen Helfer bei Finanzfragen werden. In der Folge der Umkrempelung des Marktes wird aber inzwischen von einer «Beratungslücke» gesprochen. Vor allem viele Privatkunden mit kleinen Vermögen könnten weniger Zuspruch durch Finanzprofis erhalten.

Zunächst sank die Anzahl der Berater im Vereinigten Königreich von 40 600 im Jahr 2011 auf gut 31 220 Anfang 2014, ein Jahr nach der Einführung der neuen Regeln. So kommen schon rein rechnerisch weniger Berater auf die gesamte Bevölkerung. Ob dies allein auf die neue Gesetzgebung zurückzuführen ist, bleibt fraglich. Mit der höheren Anforderung an die Ausbildung musste sicherlich manch früherer Berater aufgeben.

Die «Subventionierung» der Beratertätigkeit durch die Anbieter der Finanzprodukte verzerrte auch die Nachfrage nach Finanztipps. Mit der Abschaffung der Retrozessionen könnte sich auch das «Beratungserlebnis» verschlechtert haben: Kunden mit wenig Geld werden vermehrt als Kostenfaktoren und nicht als Klienten angesehen. Manche grössere Anbieter könnten auch die Palette an Finanzprodukten ausdünnen und verstärkt auf eigene Angebote zurückgreifen.

Der regulatorische Eingriff erfolgte zudem in einer Zeit des Wandels im Banken- und Finanzgeschäft: Die Digitalisierung und die Verbreitung sozialer Netzwerke machen auch vor der Finanzberatung nicht halt. Immer mehr Kunden tätigen vor allem einfache Geschäfte über das Internet. Finanzinstitute versuchen mit dem Ausbau des digitalen Geschäfts zudem auch Kosten zu sparen. Zuletzt kündigte die Grossbank Lloyds einen Stellenabbau und gleichzeitig die Stärkung der digitalen Dienstleistungen an.

Ed Dymott vom Fondsanbieter Fidelity nennt noch zwei andere Faktoren, die den britischen Markt umkrempeln: Erstens habe das Vertrauen in Finanzdienstleistungen abgenommen, was dazu führe, dass mehr Leute in Eigenregie anlegten. Zweitens entstünden neue Geschäftsmodelle und Anbieter, die vor allem internetbasiert arbeiteten.

Laut Fidelity könnte der Marktanteil für reine Ausführungsgeschäfte ohne Beratung in zehn Jahren von derzeit 10% auf 50% steigen. Auf der anderen Seite des Marktes steht die vollumfängliche Beratung gegen Honorar. Dazwischen klafft noch ein Loch: Die britische Aufsichtsbehörde FCA sähe es gerne, wenn es ein Beratungsangebot zu niedrigen Kosten auch für Kunden mit kleinen verfügbaren Mitteln und wenig komplexen Anlagewünschen gäbe. Die Unternehmen drängen auch darauf, Beratung in günstigerer Form per Internet oder Telefon anzubieten, das regulatorische Umfeld ist jedoch noch unklar. FCA und die Branche sind derzeit daran, die Rahmenbedingungen besser abzustecken.

Dabei geht es um Abgrenzungsprobleme: Wann gibt ein Berater eine persönliche Empfehlung ab, die der Regulierung unterliegt, wann ist es nur eine Information? Und wie grenzen sich die vereinfachte sowie die eingeschränkte Beratung voneinander und von einer vollumfänglichen Beratung ab? Solange die Fragen nicht geklärt sind, zeigen sich Finanzunternehmen noch zögerlich, neue Dienste zu niedrigen Kosten anzubieten. Die Branche bringt als Einwände rechtliche Probleme vor: Was passiert, wenn bei einem automatisierten Beratungsprozess, der das systemische Risiko erhöht, eine nicht gewollte Empfehlung passiert? Wer übernimmt die Haftung, wenn ein Privatkunde eine Empfehlung erhält und den Auftrag anderswo ausführen lässt?

Bei der radikalen Reform der Altersvorsorge kümmert sich der Staat aber direkt um die Beratung, damit auch finanzschwache Personen Beistand haben. Ab dem Jahr 2015 können sich Briten, die das 55. Lebensjahr erreicht haben, ihre gesamte Altersvorsorge auszahlen lassen und selbst veranlagen. Dies wird auch eine grosse Veränderung für die Finanzdienstleister nach sich ziehen. Die Nachfrage nach Finanzplänen fürs Alter wird steigen.

London hat nun gemeinnützige Organisationen ernannt, die mit kostenlosem und unparteiischem Rat im persönlichen Gespräch oder per Telefon die Möglichkeiten der Reform erklären sollen. Auch ein Online-Dienst soll eingerichtet werden. Diese Dienstleister werden aber keine Produkte oder Unternehmen empfehlen. Für die privaten Dienstleister wird damit voraussichtlich genügend Arbeit übrig bleiben.

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