Bongiovanni Di Matteo
Seitdem Totò Riina, Boss der Bosse, aus dem Gefängnis heraus die Ermordung des Antimafia-Staatsanwalts Nino Di Matteo angeordnet hat (2013) – eine Drohung, die durch Angaben eines glaubwürdigen Polizeispitzels bestätigt und um das Detail ergänzt wurde, dass der für das Attentat vorgesehene Sprengstoff schon in Palermo lagere, ist der Schutz des Staatsanwalts aus Palermo auf die höchste Stufe angehoben worden:
Di Matteo bewegt sich ständig mit einem Konvoi von drei gepanzerten Fahrzeugen, in denen die neun Carabinieri Platz finden, die für seinen Schutz zuständig sind. Seine Wohnung ist rund um die Uhr bewacht, andere Carabinieri sind dafür abgeordnet, die Sicherheit der Straßen und Plätze zu prüfen, die der Konvoi nehmen wird. Außerdem hat ihm der frühere Innenminister Alfano nach massivem Druck aus der Bevölkerung einen Bomb jammer (Störsender, der im direkten Umkreis des Geräts eventuelle Funksignale unterbricht) genehmigt.
Nun könnte man meinen, der Status als bestbewachter Staatsanwalt bringe eine besondere Wertschätzung von Seiten des italienischen Staates und der Kollegen zum Ausdruck, doch dieser Eindruck täuscht.
Giorgio Bongiovanni, Herausgeber der Zeitung Antimafiaduemila, hielt anlässlich des 27. Jahrestages des Attentats auf den Antimafia-Richter Paolo Borsellino in Via D’Amelio eine flammende Verteidigungsrede für den Staatsanwalt, in der er dessen Tätigkeit in den letzten Jahren schildert und beschreibt, wie sich manche Vertreter von Politik, Medien, Institutionen und manche Kollegen ihm gegenüber verhalten haben. Die Rede dauert 59 Minuten und kann immer noch über diesen link verfolgt werden.
Seit Gründung der Zeitung Antimafiaduemila im Jahre 2000 verfolge er, Bongiovanni, genauestens, was in Politik und bei der Bekämpfung der Mafia vor sich gehe. Und während er anfangs die Justiz fast für eine Priesterschaft im Dienste der Wahrheitsfindung gehalten habe, müsse er inzwischen sagen, dass es unter den Richtern, in der Justiz allgemein, solche und solche gebe. Seit 20 Jahren habe er auf den Kongressen, die Antimafiaduemila jedes Jahr veranstaltet, jeweils den Moderator gegeben, jetzt aber sei es das erste Mal, dass er selber das Wort ergreife, das erste Mal, dass man ihm zuhören müsse. Und mit ihm warteten fast 100 000 Unterzeichner eines Appells zur Verteidigung von Nino Di Matteo auf Antworten des italienischen Staates.
Er vergleicht Nino Di Matteo mit dem 1992 von Cosa Nostra ermordeten Antimafiarichter Giovanni Falcone, weil es auffällige Parallelen gebe: Beide wurden lächerlich gemacht, geradezu verfolgt, bei Bewerbungen abgewiesen, und man versuchte ständig ihnen die Legitimität abzusprechen. Eine Presse, die einer gewissen politischen Richtung hörig ist, hat ihn als Scheriff, als Primadonna beschimpft, ihm vorgeworfen, er bereise ganz Italien, um von möglichst vielen italienischen Städten zum Ehrenbürger ernannt zu werden.
Nino Di Matteo hat Drohungen und Einschüchterungsversuche erlebt:
(Anm. Verf.: Die Angriffe auf Di Matteo sind im Zusammenhang mit dem 2012 eröffneten Prozess zur trattativa Stato mafia zu sehen: In diesem Prozess, der im Sommer 2018 mit der Verurteilung aller Angeklagten bis auf einen endete, war Di Matteo Hauptvertreter der Anklage. Als historisch kann der Prozess deshalb gelten, weil hier die Justiz eines Landes sozusagen gegen sich selbst ermittelt hat: Auf der Anklagebank saßen neben den bekannten Mafiabossen Riina, Bagarella, Brusca, Cinà zwei ehemalige Minister, hohe Ränge einer Sondereinheit der Carabinieri und die „rechte Hand von Berlusconi“, Marcello Dell’Utri. Die Anklage lautet „Erpressung eines staatlichen Gremiums“: Cosa Nostra hat kurz vor den Attentaten auf die beiden Antimafiarichter Falcone und Borsellino Verhandlungen mit Vertretern des italienischen Staates aufgenommen: Die Strategie der blutigen Attentate werde erst beendet, wenn der italienische Staat vor allem die strengen Antimafia-Gesetze rückgängig mache und weitere Forderungen der Mafia erfülle.)
2012-2013: Im Gericht und in der Privatwohnung des Staatsanwalts treffen verschiedene anonyme Briefe ein. Darunter das sog. Protocollo fantasma, ein anonymes Schreiben von 12 Seiten mit dem offiziellen Briefkopf „Ministerium der Republik Italien“. Es enthält Warnungen und Drohungen. Und 2013 liest man in einem Brief: „Die Freunde von Matteo Messina Denaro in Rom (Messina Denaro hat in der Cosa Nostra Führungsfunktion und ist seit 1993 untergetaucht) haben entschieden, dass es reicht: Italien in der Hand von Schwulen (gemeint ist der Regionspräsident von Apulien Nichi Vendola) und Komikern (der Gründer der Fünfsternebewegung Beppe Grillo)! Unterzeichnet ist der Brief mit „ein Mafioso aus Alcamo“.
Es gibt auch Drohungen anderer Art im Umfeld des Prozesses: 2013 erfolgt ein Einbruch in die Wohnung von Roberto Tartaglia, ebenfalls Anklagevertreter im Prozess zur trattativa. Aus seinem Arbeitszimmer werden Ermittlungsakten gestohlen. Kurz darauf erhält der Staatsanwalt Giuseppe Lombardo, der die Anklage in einem Prozess mit ähnlicher Thematik in Reggio Calabria vertritt, einen Brief mit Sprengstoff und der Ankündigung, man werde ihn mit 200 kg Sprengstoff in die Luft jagen.
Ebenfalls 2013 wird Totò Riina im Gefängnis bei seinen täglichen Spaziergängen mit einem Mafioso aus Apulien abgehört: „Wir müssen uns Di Matteo vom Hals schaffen. …. Und zwar sofort!“ Und in Palermo kommt ein Brief mit dem Poststempel Castelvetrano an (von dort stammt Matteo Messina Denaro). „Die Brüder in Palermo“ sollten hören, was ihnen ihr Boss zu sagen habe: Nino Di Matteo „hat sich zu weit vorgewagt. Er muss beseitigt werden!“
Ein weiterer höchst beunruhigender Vorfall: Einbruch ins Büro des leitenden Staatsanwalts von Palermo, Roberto Scarpinato. Auf seinem Schreibtisch liegt ein Drohbrief: „Passen Sie bloß auf, Dr. Scarpinato! Wir finden Sie überall! Sie übertreiben bei Ihrer Arbeit und in Ihrer Rolle im Amt! Lassen Sie endlich den Dingen ihren Lauf. Unsere Geduld hat bald ein Ende!“ Hier überlegt Bongiovanni: Die Procura von Palermo ist das am besten bewachte Gericht Italiens, und Scarpinato hat dort die Leitung. Ist es vorstellbar, dass ein normaler Mafioso ins Allerheiligste der Hochsicherheits-Procura vordringen kann? Seiner Meinung nach sind es „staatliche Gespenster“, die sich dort Zutritt verschafft haben. Und der Grund: Scarpinato vertritt zu der Zeit die Anklage in einem Prozess in Caltanissetta, den man als Ableger des Prozesses in Palermo bezeichnen könnte.
Aber das ist nicht alles: 20 Tage später kommt Scarpinato in sein Büro und findet dort noch einmal ein Schreiben vor. Dieses Mal ist es nur ein Zettel mit einem Wort im sizilianischen Dialekt: „Accura!“ (Pass bloß auf).
Auch Kronzeugen sagen aus: Da ist als erster Vito Galatolo, der für eine der gefährlichsten Mafia-Familien von Palermo arbeitet, für die Familie Madonia. Er sagt aus, er sei es, der den Auftrag für das Attentat auf Di Matteo erhalten habe. Cosa Nostra habe 600 000 € gesammelt, um den nötigen Sprengstoff von den calabresi, also in Kalabrien von der `ndrangheta, kaufen zu können. Di Matteo und der `ndrangheta-Staatsanwalt Giuseppe Lombardo sind sich einig: Hinter dem geplanten Attentat steckt ein ganzes kriminelles System, zu dem auch Freimaurer, Politiker und Vertreter der Institutionen gehören. Dasselbe kriminelle System, das die Ermordung Paolo Borsellinos und seiner Eskorte zu verantworten hat. Die Staatsanwälte wollen deshalb einen anderen Kronzeugen befragen, der als erster das kriminelle System der `ndrangheta beschrieben hat: Leonardo Messina. Er hat seine Strafe abgesessen und ist seit 2016 frei. Doch er ist seit Monaten nicht mehr auffindbar. Das, so fragt sich Bongiovanni, ist doch kein Zufall?
Auch die schon längst verurteilten Mafiabosse der Attentate auf Falcone und Borsellino sagen über die Anschläge von 1992/93 aus. Brusca und Cancemi nennen schon 1998 Dell’Utri und Berlusconi als Auftraggeber von außerhalb der Mafia.
Im Zusammenhang mit den Ermittlungen für den Prozess zur trattativa befragen die Staatsanwälte auch den ehemaligen Staatspräsidenten (1992-99) Oscar Luigi Scalfaro. In der Urteilsbegründung von 2018 wird betont, dass Scalfaro nachweislich gelogen hat, genauso wie der Polizeichef Vincenzo Parisi (Beide sind verstorben, bevor man ihnen einen Prozess wegen Falschaussage machen konnte).
Auch der letzte Staatspräsident Giorgio Napolitano spielt eine doch sehr zweifelhafte Rolle: Er zieht alle ihm zu Verfügung stehenden Register, um den Prozess zu stoppen! Einer Befragung durch die Staatsanwälte (Er hatte in der Zeit der Mafia-Attentate das Amt des Parlamentspräsidenten inne) versucht er mehrmals zu entkommen. Als Vorsitzender des CSM (höchstes Gremium der italienischen Justiz) leitet er ein amtliches Verfahren gegen die gesamte Procura di Palermo und einen der Staatsanwälte ein. So gelingt es ihm, Antonio Ingroia, der wesentlich an der Vorbereitung des Prozesses beteiligt war, aus dem Pool zu entfernen:
Dann ereignet sich ein kleines Wunder: 2015 beobachten zwei kleine Jungs auf dem Gelände eines Tennisplatzes in Palermo zwei bewaffnete Männer, die sie dort noch nie gesehen haben und melden es sofort weiter. Dies geschieht unmittelbar, bevor Di Matteo den bomb jammer erhält. Offenbar wollte man das Attentat vorher noch durchziehen. Kurz darauf meldet sich der Kronzeuge Galatolo, der den Auftrag für das Attentat bekommen hat, er müsse Di Matteo dringend sprechen: Der mit Sprengstoff gefüllte Wagen stehe bereit, aber jetzt habe Matteo Messina Denaro Palermo informiert, dass die Vorbereitungen abgeblasen seien. Für das geplante Attentat sei eine Autobombe nicht geeignet, man brauche dafür spezielle Waffen. Er habe einen Experten an der Hand, der nicht zur Cosa Nostra gehöre und der sich mit solchen Waffen auskenne und das Attentat bewerkstelligen werde. Und übrigens: Außer Di Matteo seien noch weitere 23 Personen dran.
Dann wird zufällig ein normaler Mafioso aus Palermo abgehört, der sich am Telefon mit seiner Frau heftig streitet: „Was machst du denn da für einen Mist? Ich habe dir schon mehrfach gesagt, du darfst das Kind nicht mehr auf den Tennisplatz X bringen. Das ist der Tennisplatz, auf dem auch Di Matteo spielt, den sie jetzt umbringen müssen.“
Bongiovanni zieht hier eine Zwischenbilanz: Die Serie von Morddrohungenm zeigt, dass die Strategie der blutigen Attentate der Cosa Nostra und des italienischen Staates nicht beendet ist, sie befindet sich lediglich im stand by!
Und was hat sich in den letzten Jahren ereignet? Nino Di Matteo, ein Spitzenmann im Bereich von Mafia-Ermittlungen, bekommt in Palermo nun Feld-Wald-und-Wiesen-Ermittlungen aufgetragen, Einbrüche, Diebstähle, Streitigkeiten unter Nachbarn usw. Weshalb?
2018 soll Di Matteo Mitglied im neu gegründeten Pool zur Ermittlung der externen Auftraggeber der Attentate von 1992-94 werden. Offenbar sind aber nicht alle Kollegen einverstanden: Gegen Luca Palamara, den ehemaligen Präsidenten eines Gremiums der italienischen Justiz (ANM) wird ermittelt wegen Korruption – ein riesiger Skandal. Also wird er abgehört, und das auch bei einem Gespräch, in dem er zu einem Kollegen sagt, er müsse unbedingt verhindern, dass Di Matteo zu diesem Pool gehöre. Und was passiert? In einer Mail schreibt Cafiero De Raho, der Nationale Antimafia-Staatsanwalt, an Di Matteo, er könne nach dem Fernsehinterview auf La7 nicht mehr in den Pool aufgenommen werden, weil er Geheimnisverrat betrieben habe. Er habe damit das Vertrauensverhältnis unter Kollegen zerstört, das Voraussetzung sei für die Arbeit im Pool. In Wahrheit aber (unddas kann man in einer Video-Registration überprüfen) hat er dort nur Fakten genannt, die jederzeit auch im Internet gegoogelt werden können.
2018 erhält Italien eine neue Regierung aus der Fünfsterne-Bewegung und der Lega. Es werden die Ministerposten verteilt, man schlägt Di Matteo als Innenminister vor – man diskutiert und berät, und statt Di Matteo macht man schließlich Matteo Salvini von der Lega zum Innenminister – was für eine Alternative zu Di Matteo! Die Fünfsterne wollen aber doch an dem Spitzenbeamten Di Matteo festhalten und so hat der neue Justizminister die Idee, Di Matteo zum Chef des DAP (der Gefängnisverwaltung) zu machen.
Was er jetzt berichte, könne man für die Phantasien eines Filmregisseurs halten, warnt Bongiovanni, es handle sich aber um Tatsachen: Der Chefposten der Gefängnispolizei ist ein strategisch enorm wichtiges Amt. Man ist dort im engen Kontakt mit den Mafiabossen, hört, was in den Gefängnissen kolportiert wird, die Zusammenarbeit mit den Staatsanwaltschaften ist zu koordinieren – also ein sehr wichtiger Posten. Nach Bekanntwerden dieses Plans trifft beim Justizminister Bonafede ein Informationsschreiben der Gefängnisverwaltung ein: Die Mafiabosse seien in heller Aufregung und wollten unbedingt Di Matteo als Chef des DAP verhindern, sie wollten streiken, um ihre Forderung durchzusetzen. Und der Minister? Er verspricht, dass man Di Matteo einen anderen Posten geben werde!
Hier wendet sich Bongiovanni direkt an den Innenminister: „Minister Bonafede. Warum???? Warum haben Sie das getan? Das müssen Sie uns erklären!“
Und Di Matteos Kollege Giuseppe Ayala? (Einst im Antimafia-Pool von Palermo. Er war während des Attentats von Via D’Amelio vor Ort, hat aus dem zerstörten Auto von Paolo Borsellino dessen Aktenmappe mit dessen rotem Notizbuch genommen und vom Tatort entfernt).
Fünf Mal erklärt Ayala, er könne sich nicht erinnern, wem er Borsellinos Aktenmappe gegeben habe, was daraus geworden sei. Und als er vor kurzem wieder danach gefragt wird, bekommt er einen Wutanfall und weigert sich zu antworten: „Wenn ich einst gestorben bin, soll Gott mich richten!“
Abschließend appelliert Bongiovanni an die Staatsanwaltschaften von Caltanissetta, Florenz und an die Nationale Staatsanwaltschaft, er hoffe, sie hätten sich im Streit, ob Di Matteo Geheimnisverrat betrieben habe, zu seiner Verteidigung eingesetzt! Er fürchte aber, dass das nicht geschehen sei.
Einen weiteren Appell richtet er wieder an die Staatsanwaltschaft Caltanissetta und ihren Leiter Amedeo Bertone, die die Ermittlungen wegen des geplanten Attentats auf Di Matteo geführt haben. Sie haben nun die Ermittlungen eingestellt, obwohl sie in der Begründung zugeben zu wissen, dass die Mordpläne gegen Di Matteo weiter verfolgt werden und nicht etwa erledigt sind. Und was macht man in Caltanissetta? Man archiviert das Verfahren, man tut nichts! Und er schließt: „Diese Staatsanwaltschaft ist schuldig, schuldig, schuldig!“