Italien: Geschichte der sog. „Prima Repubblica“(1948-1994) – im Licht der Gerichtsurteile

Manipulation

Ilfattoquotidiano.it

Leicht gekürzter Vortrag von Roberto Scarpinato, Generalstaatsanwalt von Palermo, gehalten am 6.9.2020 anlässlich des jährlichen Kongresses der Zeitung „Il fatto quotidiano“.

Der Vortrag erfolgte im Rahmen der Vorstellung des neuen Buches von Antonio Padellaro: „Das Attentat und das Wunder“, in dem der Autor untersucht, weshalb das von der Mafia vorbereitete Attentat auf das Olympia-Stadion in Rom (23.1.1994) gescheitert ist. Überschriften von mir eingefügt.

Die Anfänge

Giovanni Falcone verwendete den Ausdruck „il gioco grande“, das große Spiel, wenn er vom Kampf um die Macht sprach. Ein Spiel, das in Italien ohne Unterbrechung mit Attentaten und mit Morden gespielt wurde. Der Anschlag auf das Olympia-Stadion sollte das Ende der 1. Republik besiegeln, die enden sollte so wie sie begonnen hatte: mit Blutvergießen. Das erste Attentat, das auf das Konto von Mafia und Staatsvertretern geht, ist das Massaker von Portella della Ginestra am 1. Mai 1947 mit 11 Toten und 27 Schwerverletzten. Die Linke hatte in Sizilien die Regionalwahlen gewonnen, und das feierte man in Piana degli Albanesi, Provinz Palermo. Die Politik findet sofort einen Schuldigen: Salvatore Giuliano und seine Bande (1). Wer nicht sofort verstanden hatte, dass hier die Politik mitverantwortlich war, der konnte es im Lauf weniger Monate verstehen, nachdem mehrere Anschläge mit Maschinengewehren und Bomben auf die Parteibüros erfolgt waren. Man wollte verhindern, dass sich ein Sieg der Linken bei den bevorstehenden Wahlen auf nationaler Ebene wiederholte.

Die Manipulation von Ermittlungen und Prozessen

In keinem anderen europäischen Land hat es eine solche Geschichte von politisch motivierten Attentaten gegeben: Mailand 1969, Peteano 1972, Brescia, Italicus, Bologna usw. bis zu den Anschlägen von `92-`93. All diese Attentate haben einen gemeinsamen Nenner: Die Manipulation der Ermittlungen durch die Geheimdienste mit verschiedenen Techniken: Verschwindenlassen wichtiger Dokumente, von Tatortspuren, die Konstruktion falscher Ermittlungsansätze, die Konstruktion eines falschen Kronzeugen.

Wozu manipuliert man Ermittlungen? Um eine Wahrheit zu verbergen, die man nicht eingestehen kann. Um die Auftraggeber aus der Politik zu schützen, letztendlich um den politischen Zweck zu verheimlichen, der ein anderer ist als der offensichtliche Zweck. All dies trifft auch auf die Anschläge von `92/`93 zu: Es verschwinden essentielle Dokumente. Im Januar `93 wird Riina verhaftet. Als die Durchsuchung seines Verstecks beginnen soll, interveniert der Carabinieri-General Mario Mori: „Es wäre verrückt, die Wohnung sofort zu durchsuchen. Sicherlich kommen bald Bagarella und die anderen Bosse, um die Wohnung leerzuräumen, und dann schnappen wir sie.“(2) Tatsächlich kommen Bagarella und die anderen Bosse und räumen alles leer, natürlich auch den Tresor mit den Dokumenten, sogar die Wände sind frisch gestrichen, um keine DNA-Spuren zu hinterlassen – nur: die Festnahme findet nicht statt.

Die nächste spektakuläre Manipulation ist der Diebstahl des roten Notizbuchs von Paolo Borsellino. Wenige Sekunden nach der Bombenexplosion, zu einem Zeitpunkt, als die Polizei noch nicht einmal sagen kann, was eigentlich passiert ist, sind Geheimdienstleute vor Ort. Sie scheren sich nicht um Tote oder Verletzte, sondern nehmen aus Borsellinos Wagen die Aktentasche mit dem roten Notizbuch (3). Die Aktentasche wird später wieder im ausgebrannten Wagen gefunden, aber ohne das Notizbuch. (4)

Aber das ist nicht alles: In Hinterzimmern wurde ein falscher Kronzeuge konstruiert, Vincenzo Scarantino, der die italienische Justiz jahrelang in die Irre geführt hat, damit die Wahrheit über den Anschlag auf Borsellino ja nicht ans Licht kam. (5)

Und es gibt weitere Beispiele für Manipulationen: z.B. die Ermordung von Bossen, die mit der Justiz zusammenarbeiten und über die Hintermänner in der Politik aussagen wollten, wie Luigi Ilardo oder Antonino Gioè, und sie sind nicht die einzigen!

Weshalb werden Ermittlungen zu Mafia-Attentaten manipuliert?

Eben weil nicht nur Mafiosi dafür verantwortlich sind, sondern weil es da auch andere Schuldige gibt. Es soll unbedingt verhindert werden, dass die Ermittlungen über die Ebene der Cosa Nostra hinausgehen, die die Attentate durchgeführt hat. Aber was steht hinter den Attentaten von 1992 und `93? Klar, da ist die bewaffnete Hand der Mafia, aber da sind auch andere Subjekte aus dem Staat am Werk, die durch die von der Mafia ausgeführten Anschläge eine Destabilisierung der politischen Lage erreichen wollen, um ein Ereignis zu verhindern, das man für ungeheuer wichtig hielt: Das italienische Machtsystem, das während der ganzen 1. Republik im Kontext des Antikommunismus und des internationalen Bipolarismus Straflosigkeit garantierte, und zwar nicht nur für die Mafia, sondern auch für Mitglieder der Geheimloge P2 von Licio Gelli, für Lobbys, für Personen im Staat, die in der Vergangenheit für die Manipulationen gesorgt hatten – jetzt, da das alte System am Zusammenbrechen ist, da sehen all diese Leute ein gemeinsames Schicksal vor sich: Sie befürchten, Parteien der Linken könnten an die Regierung kommen, und das würde bedeuten, dass man mit der Vergangenheit abrechnet und dass es nicht nur das Ende von Totò Riina sein würde, sondern auch das Ende für die Leute der P2, für die Leute von „Gladio“ (6) usw. Und so entdeckt man ein gemeinsames Interesse: eine Hardware von Seiten der Mafia und eine Software von Seiten der Destabilisierungs-Spezialisten und den Experten für die Massenkommunikation, die die zeitliche Abfolge der Attentate und die zu treffenden Orte vorgeben.

Der politische Zweck der Attentate muss geheim bleiben

Dieser politische Zweck wird den meisten Mafiabossen verheimlicht, davon wissen nur Riina, Graviano, Matteo Messina Denaro, Bagarella und andere Bosse, die sich im November 1991 in Enna treffen. Dort wird die Destabilisierungs-Strategie beschlossen, die in zwei Phasen erfolgen soll: zuerst die Phase der Attentate, zu denen sich eine Organisation mit dem Namen „Falange armata“ (7) bekennen soll. Damit sollte ein kollektives Misstrauen in den Staat geschürt werden, den bisherigen Institutionen sollte ihre Legitimität abgesprochen werden. Auf diese Weise sollte der Weg bereitet werden für eine neue politische Kraft, die gerade im Entstehen war und die dann den am Boden liegenden Staat wieder aufrichten und die Regierung übernehmen würde. Und tatsächlich ruft Riina einen Monat später alle Bosse zusammen, spricht von der Rache an Falcone und Borsellino, von der Bestrafung der Politiker, die ihre Versprechen nicht gehalten haben, aber über alles, was in Enna besprochen worden war, sagt er kein Wort. Riina erklärt auch nicht, weshalb Falcone, der zunächst in Rom hätte ermordet werden sollen, weil er dort ohne Leibwächter unterwegs war, jetzt plötzlich in Sizilien sterben soll, unter Umständen, die höchst spezielle technische Kenntnisse verlangten, die das Risiko eines Misslingens mit sich brachten, und er erklärt nicht, weshalb der Anschlag auf Borsellino auf Juli vorverlegt werden soll. Und in der Tat handelte es sich um ein völlig irrationales Vorhaben und total kontraproduktiv für die Interessen der Cosa Nostra: im Juni`92 hatte das Parlament über das sog. Dekret Falcone abgestimmt, das die Einführung der Isolationshaft (der sog. 41bis) auch für Mafiabosse vorsah, und das bis zum 9. August vom Parlament in ein Gesetz umgewandelt werden musste. Und während vor der Ermordung Borsellinos eine Mehrheit von Abgeordneten dieses Gesetz ablehnen wollte – nach dem Attentat am 19. Juli stimmte dann die Mehrheit dafür. Raffaele Ganci, einer der engsten Vertrauten von Riina sagte dazu: „Der (Riina) ist komplett verrückt geworden“. Und Salvatore Cancemi, ein anderer Boss, sagte: „Er verfolgt damit die Interessen anderer. Jetzt Borsellino zu ermorden, ist nicht in unserem Interesse.“

Die Attentate auf dem Festland

Der Höhepunkt der Attentats-Strategie erfolgt nicht zufällig dann, als die Regierung Ciampi das Vertrauen erhält. Die „technische“ Regierung Ciampi ist gedacht als Probelauf einer zukünftigen Regierung der Linken, denn sie ist die erste Regierung, in der drei ehemalige Kommunisten einen Ministerposten innehaben. Das erste Attentat auf dem Festland erfolgt drei Tage nach der Wahl der Regierung Ciampi, im Mai 1993, dann kommt das Attentat von Florenz, dann der Versuch eines Anschlags 100m entfernt von Palazzo Chigi, an den sich praktisch niemand erinnert. In einer kleinen Straße, durch die Ciampi gehen muss, um in sein Büro zu kommen, wird ein mit Dynamit beladenes Auto gefunden. Kein einziger Kronzeuge konnte bisher dazu etwas sagen. Wer ist also dafür verantwortlich? Dann, am 27.7.1993, die Anschläge von Mailand und Rom. Ciampi versteht, dass da ein Staatsstreich vorbereitet wird. Dann gibt es einen Blackout, der alle Telefone der Regierung mehrere Stunden lang lahmlegt und von der Außenwelt isoliert. Man entdeckt, der Stromausfall wurde von einer externen Telefonzentrale ausgelöst, aus einem Gebäude, in dem auch der Sismi ein Büro hat (8). Ciampi macht darauf einen bedeutungsvollen Schritt: Er lässt alle Spitzenleute der Geheimdienste von ihren Posten entfernen, der Verteidigungsminister sorgt für eine Säuberung im Sismi, die 300 Leute betrifft, Admiral Fulci, verantwortlich für die Kontrolle der Geheimdienste, führt eine interne Untersuchung des Sismi durch und stellt fest, dass alle Anrufe, mit denen die „Falange armata“ sich zu den Mafia-Attentaten bekannt hat, aus den außerhalb gelegenen Zentren des Sismi kamen.

Der missglückte Anschlag auf das Olympia-Stadion in Rom

Genau zu dieser Zeit beginnen die Vorbereitungen zum Anschlag auf das Olympia-Stadion, es sollte ja der Gnadenstoß sein, den man dem politischen System verpassen wollte. Es werden Vor-Ort-Besichtigungen durchgeführt. Der neue Stern am Himmel der italienischen Politik befindet sich in der Phase weit fortgeschrittener Vorbereitungen. Doch der Anschlag gelingt nicht. Die Fernbedienung versagt. – Zufall? Padellaro liefert in seinem Buch eine interessante Hypothese: Vielleicht habe ja jemand entschieden, dass sich Graviano mit dem geplanten Anschlag, bei dem Hunderte von Opfern eingerechnet waren, darunter 100 Carabinieri, zu weit vorgewagt hatte, und dass dieses Attentat eben nicht stattfinden sollte. Wenige Tage später, am 27. Januar `94, wird er verhaftet. Einen Tag vorher, am 26. Januar, wird im Fernsehen die Ankunft des neuen Politikers verkündet.

Resümee

Die italienische Öffentlichkeit glaubt, die Serie von Attentaten gehe auf das Konto der üblichen Super-Kriminellen, ob sie Riina oder Provenzano heißen, Leute, die sich auf Italienisch kaum äußern können. Und was wird man in den Geschichtsbüchern lesen? Scarpinato zitiert Balzac: Es gibt zwei Arten von Geschichte. Die erste ist die Geschichte in den Schulbüchern, die stets voller Lügen ist. Die zweite, die tatsächliche Geschichte, ist die, die man nicht erzählen kann, weil sie die politische Macht, die kriminelle Seite der politischen Macht, mit zur Verantwortung zieht. Und was das betrifft, nimmt Italien in Europa den ersten Platz ein. In keinem anderen europäischen Land hat es eine solche Serie von blutigen Attentaten gegeben. Dazu kommt noch die Reihe von Morden an hochrangigen Persönlichkeiten, eine Serie von rätselhaften Selbstmorden. Buchstäblich ein Völkermord, begangen von Mitgliedern einer Führungsschicht, die im Machtspiel systematisch Gewalt eingesetzt hat. Und dieses „große Spiel“, wie Falcone sagt, wird einem großen Teil der italienischen Bevölkerung unbekannt bleiben. Denn auch das Wissen ist beileibe nicht unschuldig, die Konstruktion von Wissen war schon immer Spielplatz für den Kampf um die Macht. Einer der größten Intellektuellen des Westens, der Kardinal Giulio Mazzarino, erinnerte den französischen König immer daran: „Majestät, die Macht erringt man mit Schwertern und Kanonen, man behält sie mit Dogmen und dem Aberglauben.“ Die Verdrehungen und Verfälschungen, was die Macht der Mafia und die großen Verbrechen der italienischen Politik betrifft, – das ist ein Feld, auf dem wir heute leider noch die Verlierer sind.

  1. Salvatore Giuliano: sizilianischer Bandit und Separatist
  2. Im Prozess wurden Mori und der Mitangeklagte freigesprochen, weil die Nichtdurchführung einer Hausdurchsuchung kein strafbares Vergehen sei, allerdings wurde Mori im Prozess zur Trattativa Stato-Mafia in erster Instanz 2018 wegen Erpressung eines staatlichen Gremiums schuldig gesprochen.
  3. Im roten Notizbuch notierte sich der Richter alles, was ihm wichtig erschien, er war nie ohne es unterwegs.
  4. Alles nachzulesen im Urteil zum 4. Prozess Borsellino.
  5. Auf Grund der Aussagen von Scarantino wanderten die falschen Leute ins Gefängnis, so dass der Prozess revidiert und die unschuldig Inhaftierten entschädigt werden mussten.
  6. Eine stay-behind-Organisation, die im Falle eines Einmarsches der Truppen des Warschauer Paktes Guerilla-Operationen und Sabotage-Akte durchführen sollte. Sie ist entstanden aus dem italienischen militärischen Geheimdienst der Nachkriegszeit und dem CIA.
  7. Italienische Terrororganisation
  8. Militärischer Geheimdienst

Der falsche Kronzeuge zum Attentat auf Borsellino, Vincenzo Scarantino

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Italien: Piera Aiello verlässt aus Protest die Fünf Sterne

Piera Aiello aus Partanna (Provinz Trapani)
in Sizilien ist die erste Kronzeugin, die 2018 auf einer Liste der Fünf-Sterne-Bewegung ins Parlament gewählt wurde. Sie arbeitete in der nationalen parlamentarischen Antimafia-Kommission und in der Justiz-Kommission, deren Aufgabe es ist, alle vom Justizminister Bonafede und seinem Büro formulierten Gesetze zu überprüfen, mögliche Bedenken zu formulieren und Verbesserungsvorschläge zu machen. „Aber nach Monaten und Monaten der Schein-Debatten “, so Aiello, „bleibt von der geleisteten Arbeit nichts übrig. Es entscheidet immer der Justizminister, und – ich bin sicher – er entscheidet nicht autonom, denn 90% der Vorschläge werden dann verworfen, und das oft ohne eine sinnvolle Begründung.“ Sie verlässt jetzt deshalb die Fünf Sterne, ihre Arbeit in Kommissionen und Parlament wird sie jedoch fortsetzen.

Wer ist Piera Aiello? Weshalb findet ihr Austritt aus der Bewegung einen solchen Widerhall in den Medien?

Sie ist eine Symbolfigur der Antimafia:

Mit 18 Jahren wird sie gezwungen, den Mafioso Nicola Atria aus Partanna (Provinz Trapani) zu heiraten. Ihr Schwiegervater Vito Atria wird nur wenige Tage nach ihrer Hochzeit in einer Auseinandersetzung mit den Corleonesi ermordet. Das gleiche Schicksal erleidet 1991 ihr Mann, der vor ihren Augen umgebracht wird. Piera, die nie die Lebenseinstellung ihres Mannes geteilt hat, beschließt nun, sich an die Justiz zu wenden und lernt so auch den Richter Paolo Borsellino kennen. Sie muss deshalb Sizilien verlassen und lebt unter anderem Namen in Rom. Kurz darauf folgt ihr ihre Schwägerin Rita Atria, die ebenfalls beschließt, ihr Wissen der Justiz zur Verfügung zu stellen, um sich an den Mördern ihres Vaters und ihres Bruders zu rächen. Durch die Aussagen der beiden jungen Frauen kann zahlreichen Mafiosi der Prozess gemacht werden. Pieras Schwägerin Rita begeht 1992 nach der Ermordung des Richters Borsellino in Rom Selbstmord, Piera selber lebt mit ihrer Tochter mit ihrer neuen Identität im Verborgenen bis zu den Wahlen 2018. Sie kandidiert im Territorium von Messina Denaro für die 5Sterne, von denen sie sich eine ernsthafte Antimafia-Arbeit verspricht. Erst im Juni des Wahljahres beschließt sie, sich zu ihrer wahren Identität und zu ihrem Gesicht zu bekennen.

Jetzt ist sie aus den 5Sternen ausgetreten, aus Protest gegen die Arbeit des Justizministers Bonafede. „Zu lebenslanger Isolationshaft verurteilte Mafiosi schickt er mit einer simplen Email, einem Rundschreiben an alle Haftanstalten in den Hausarrest!“ empört sie sich. „Natürlich ist auch für mich das Recht auf körperliche Unversehrtheit sakrosankt, aber genauso wie das Gesetz bei Totò Riina umgesetzt wurde, der bis zum letzten seiner Tage im Gefängnis medizinisch betreut und behandelt wurde, genauso hätten jetzt die anderen Mafiabosse behandelt werden müssen. (…) Wie kann ein Bürger dem Staat vertrauen, wenn vom Staat seine Sicherheit aufs Spiel gesetzt wird? Wie sollen sich Kronzeugen sicher fühlen vor Kriminellen, zu deren Verhaftung sie beigetragen haben? Und diejenigen, die vorhaben mit der Justiz zusammenzuarbeiten, wie sollen sie das nötige Vertrauen in einen Staat aufbringen, der keine eindeutige Haltung im Umgang mit Mafiosi einnimmt, indem er wirksame Strafen vorsieht für Leute, deren Hände mit Blut beschmiert sind?

Piera Aiello verlässt die Fünf-Sterne-Bewegung: „Die Antimafia-Arbeit – zunichte gemacht von unfähigen Leuten“. Ein vergifteter Abschied der Abgeordneten und Kronzeugin. „Ich möchte nicht zur Komplizin der Fehler werden, die die Fünf Sterne begangen haben.“

 

Mafia und Corona-Krise IV: Mafiabosse können nach Hause gehen

 

In Italien sind in letzter Zeit gefährliche Mafiabosse, mehrere Schwerkriminelle und Kriminelle aus dem Heer der Mafia-Soldaten in den Hausarrest entlassen worden. Verwunderlich nur, dass erst seit einer Fernsehsendung vom 3. Mai, in der dies Thema war (Non è l’Arena, auf La7), die Wogen auch außerhalb der wenigen Medien, die sich traditionell mit dem Thema Mafia befassen, hochschlagen. Jetzt sucht man nach Schuldigen.

  1. bis 9. März 2020: Ganz Italien, das von der Corona-Pandemie besonders stark betroffen ist, wird von Revolten in 22 Gefängnissen erschüttert. Die Aufstände fordern zahlreiche Opfer, darunter auch 12 Tote. Und da die Rebellionen am gleichen Tag, zur gleichen Stunde losgehen und auch zeitgleich wieder enden, und auf Grund weiterer merkwürdiger Vorkommnisse gehen die Ermittler von einer gemeinsamen Regie aus dem Untergrund aus: Die Mafia nutzt die Pandemie, um für ihre Häftlinge Verbesserungen oder gar die Freiheit zu erreichen…..Ilfattoquotidiano.it
  2. April 2020: Nachdem schon mehrere Häftlinge „wegen Corona“ in den Hausarrest entlassen wurden, entscheidet der zuständige Richter, dass der Camorra-Boss Pasquale Zagaria, der in Sassari in Isolationshaft einsitzt (der sog. 41bis, vorgesehen für Mafiabosse, für Terroristen und Pädophile), in den Hausarrest entlassen wird. Der Richter hatte immer wieder darum gebeten, für den kranken Boss einen alternativen Gefängnisplatz zu den Bedingungen des 41 bis zu finden. Doch von der zuständigen Behörde, dem Dap (die nationale Gefängnisverwaltung), kam im Laufe eines ganzen Monats keine entsprechende Antwort. So entschied sich der Richter für den Hausarrest. Übrigens: Außer Zagaria dürfen auch andere Häftlinge nach Hause. Die Meldungen überschlagen sich, Vertreter der Antimafia kritisieren, der Staat erwecke den Anschein, sich der Erpressung der Mafia durch die Gefängnis-Revolten zu fügen.
  3. April 2020: Der Chef des Dap tritt zurück. Der Justiziminister Bonafede installiert an der Spitze der Behörde zwei Antimafia-Richter.
  1. Mai 2020: Der Journalist Massimo Giletti lädt in seine Sendung hochrangige Experten ein, um eine sachgerechte Rekonstruktion der Ereignisse zu ermöglichen: Warum werden gefährliche Schwerkriminelle aus dem 41bis entlassen und in Hausarrest geschickt? Im Lauf der Sendung gelangt man zu dem Ergebnis, dass bisher 3 Häftlinge, die zu den Bedingungen des 41 bis einsaßen, in den Hausarrest entlassen wurden. Aber auf dem Schreibtisch des Leiters des Dap bzw. des Ministers liege ein Stapel von knapp 300 Anträgen auf Umwandlung der Haftstrafe in Hausarrest. Man diskutiert über die Frage, weshalb der Justizminister sich nicht rechtzeitig um spezielle Maßnahmen für die italienischen Gefängnisse in Zeiten der Pandemie gekümmert habe, weshalb der Leiter des Dap zurückgetreten ist, warum überhaupt jemand zum Chef dieser Behörde gemacht wurde, der trotz seiner persönlichen Meriten nicht geeignet war, die besonderen Probleme mit den gefährlichen Mafiabossen zu händeln.

Der ehemalige Staatsanwalt De Magistris erwähnt, dass der Justizminister 2018 den Richter Nino Di Matteo gefragt hatte, ob er nicht die Leitung des Dap übernehmen oder eine Position im Justizministerium haben wolle – ein Posten, den als erster Giovanni Falcone eingenommen hatte. Er solle zwischen diesen beiden Optionen wählen. Daraufhin meldet sich Di Matteo telefonisch in der Sendung und rekonstruiert, wie es kam, dass er eben doch nicht Chef der Gefangenenverwaltung geworden ist: Als nämlich bekannt wurde, dass möglicherweise Di Matteo zum Leiter des Dap ernannt werde, meldete die Gefängnispolizei, dass Mafia-Bosse sich von einem Stockwerk zum anderen zugerufen hätten, „Der scharfe Hund, wenn der kommt, dann ist es aus mit uns!“ Sie hätten mit Streik und Revolten gedroht. Und als Di Matteo am nächsten Tag dem Minister mitteilen wollte, er akzeptiere die Aufgabe im Dap, habe er zur Antwort bekommen, man habe es sich anders überlegt, die Aufgabe im Ministerium sei doch viel interessanter. Im Fernsehstudio streitet man nun über die Frage, ob der Protest der Mafiosi Einfluss auf die Entscheidung des Ministers gehabt haben könnte, einen Rückzieher zu machen. Nun meldet sich auch der Minister telefonisch zu Wort. Bonafede weicht aus, unterstreicht mit vielen Worten, dass dies ein konstruierter Zusammenhang, eine persönliche Wahrnehmung Di Matteos sei, aber kein Fakt. Aber weshalb er dann Di Matteo abgesagt hat, darauf gibt er keine Antwort.

www.la7.it (das Thema der aus dem Gefängnis entlassenen Häftlinge beginnt nach 1 Stunde und 10 Minuten)

  1. Mai 2020: Der Justiziminister Bonafede verkündet: „Die Unabhängigkeit der für die Haftbedingungen zuständigen Richter ist heilig, sie wenden geltendes Gesetz an. Aber die Gesetze machen wir. Der Hausarrest wurde wegen der Krise im Gesundheitswesen zugestanden. Aber jetzt hat sich die Lage geändert.“ Er kündigt damit an, an einem Gesetz zu arbeiten, das die entlassenen Häftlinge wieder in die Gefängnisse zurückbeordern soll. – Die Opposition stellt ein Misstrauensvotum gegen den Minister, über das am 13. Mai abgestimmt werden wird. Il fatto berichtet, es seien 456 Mafiabosse, die einen Antrag gestellt haben, wegen der Coronakrise in Hausarrest gehen zu dürfen.

Corona-Virus III – Nachrichten, die zu denken geben: Wer regiert eigentlich die Welt?

8. April 2020: Ein Lieferwagen voller Bargeld (ca. eine halbe Million Euro) wird an der Grenze zu Italien gestoppt. An Bord mehrere Kalabrier aus dem Umfeld der `ndrangheta. Schmutziges Geld – aber eben Bargeld – mit dem man in Zeiten des Corona-Virus die Geldverleiher der Mafia und die in Liquiditätsschwierigkeiten steckenden Unternehmer füttern wollte…..Ilfattoquotidiano.it

8. April 2020: Bericht über einen Beitrag im Rahmen der Politiksendung Dimartedì des TV-Kanals La7 vom 7.4. 

Der amerikanische Politologe Edward Luttwark bezeichnet italienische Richter als „schwarze Schafe, die sich alles erlauben“.

Luttwark, Berater des amerikanischen Außenministeriums, wird per Videokonferenz zugeschaltet und vom Moderator Giovanni Floris gefragt, wie er die Situation Italiens in der Corona-Krise einschätze. Seine Antwort: „Ich bin total entsetzt. Ich sehe die Italiener ohne Krawatte, das bedeutet, dass die Situation wirklich grauenhaft sein muss. Eine Krawatte tragen bloß Salvini und Sileri. Die Amerikaner tragen nie eine Krawatte, aber wenn die Italiener sie weglassen, muss es sich um eine globale Krise handeln.  Ich habe die Worte des Richters (Gratteri, der vor Luttwak das Wort hatte) gehört. Aber Ihr wisst alle genau, dass die Investoren in aller Welt keine Angst vor der Mafia, vor der ‚ndrangheta haben, sondern vor den italienischen Richtern! Das sind von der Leine gelassene Hunde, die sich alles erlauben. Heute habe ich das letzte Regierungs-Dekret gelesen, und ich sehe, wie sich Funktionäre und der Finanzminister um ein sinnvolles Vorgehen bemühen. Das Regierungs-Dekret hatte 100 Seiten, während man in der Schweiz oder den USA mit 8 Seiten auskommt. Und weshalb? Wenn der italienische Staat sich bewegt, egal in welche Richtung, dann gibt es da 150 Sachen, weil dann diese Prozesse gemacht werden. Diese Richter, diese Gerichte, die ihre Urteile nicht einmal in 4 oder 5 Jahren geschrieben bekommen…. Ich kann bloß hoffen, dass Italien nach dieser Krise da rauskommt mit dem Gedanken an eine Erneuerung.“

Italienische Kommentatoren fragen sich, weshalb der Moderator diese Äußerungen Luttwarks zur Verteidigung der Investoren nur mit einem (verlegenen?) Lächeln beantwortete. Man kann sich auch fragen, wer hat ihn eingeladen und zu welchem Zweck? Denn Luttwark ist in Italien keine unbekannte Person. Aus beschlagnahmten Papieren des SISMI (italienischer militärischer Geheimdienst) geht hervor, dass er auf dessen Gehaltsliste stand, und es gibt Aussagen, dass er auch für den CIA gearbeitet habe. Im Artikel von Bongiovanni werden selbst weit zurückliegende Fernsehauftritte Luttwarks  mit seinen „wirren Ideen“ genannt, z.B. die Loslösung Siziliens von Italien, ein Projekt, das von Cosa Nostra vorangetrieben wurde, bevor Silvio Berlusconi seine Partei Forza Italia gründete.

9. April 2020 Francesca Re David, Gewerkschaftsvorsitzende der FIOM, kritisiert den Druck, den Confindustria und Unternehmer-Vereine in Nord-Italien machen, die Einschränkungen zu lockern. Für sie sei der Profit wichtiger als die Gesundheit der Menschen, das heiße auch die der eigenen Mitarbeiter. Gleich darauf bezieht der Minister Boccia Position gegen den Chor der Unternehmer: „Die Regierung hat klare Vorstellungen. Wir müssen zuerst die Gesundheit der Bürger schützen, denn wenn sie nicht gewährleistet ist, gibt es weder Wirtschaft noch Entwicklung.“

8. April 2020: Palermo: Mafioso verschenkt Einkaufstüten im Stadtviertel ZEN und beschimpft und bedroht den Journalisten der Repubblica,  der darüber berichtet.

Giuseppe Cusumano, Bruder des inhaftierten Drogenbosses des ZEN und selber vorbestraft, Gegenstand von polizeilichen Ermittlungen, weil er an geheimen Treffen von Mitgliedern der sog. Cupola 2 teilgenommen hat, verteilt auf einer Straße Palermos Tüten mit Grundnahrungsmitteln an arme Leute. Die Polizei beginnt mit Ermittlungen, der Journalist Salvo Palazzolo berichtet darüber. (Sein Artikel muss bezahlt werden) Offiziell verantwortlich für die Schenkungen ist der Verein San Pio (Zen), der finanziert wird durch Spenden von Kaufleuten und Privatpersonen. Unter den Vorstandmitgliedern sind auch vorbestrafte Personen, zum Teil im Zusammenhang mit Mafia-Ermittlungen. Über den Zeitungsbericht erregt sich Cusumano und postet in den sozialen Medien: Herrschaften, der Staat will nicht, dass wir Gutes tun, weil wir Mafiosi sind und anstatt sich bei mir zu bedanken, schreiben sie solche Artikel gegen mich. Ok, weil ich den Leuten helfe und dafür sorge, dass sie nicht verhungern, bin ich stolz darauf, ein Mafioso zu sein… Von jetzt an verschenke ich nichts mehr. Herrschaften, der Staat will nicht, dass sich im ZEN was ändert, jetzt habt ihr es kapiert! Es folgen Beleidigungen und Drohungen an die Adresse von Palazzolo, ergänzt von bösartigen und drohenden Kommentaren der Follower. Der Vorfall zeigt, dass die Mafia versucht, die in den letzten Jahren etwas verloren gegangene Zustimmung in der Bevölkerung wieder herzustellen und sich an die Stelle des Staates zu setzen. Es folgen eine Serie von Solidaritätsbekundungen von Seiten der Kollegen und von Amtsträgern….Antimafiaduemila.com

„Aber zählt denn in dieser Welt bloß der Profit?“ –
„Aber nein, es gibt auch den Gewinn“

ilcircolaccio.it/2018/02/26/castelvetrano-la-teoria-della-raggera-e-leconomia-fittizia-del-cemento-e-delle-opere-edili

Die Mafien in Zeiten des Corona-Virus II

Weitere Stimmen aus Italien – eine Auswahl

Indulto = Amnestie

Franco Roberti, ehemaliger nationaler Antimafia-Staatsanwalt, jetzt Abgeordneter im Europaparlament, wird zur Meldung der Zeitung Il Mattino befragt, dass Angehörige und Gefolgsleute der Camorra in Neapel Einkaufstüten mit Nudeln, Brot und anderen lebenswichtigen Lebensmitteln kostenlos verteilen: „Die Camorra ist System. Es handelt sich dabei um Werbung für einen ganz bestimmten Lebensweg – Camorra – von der Wiege bis zur Bahre.“ Die Strategie sei, damit neue Anhänger und Komplizen zu gewinnen, auch im Bereich der Wirtschaft. Auf die Frage, ob die Camorra eine eigene Methode habe, sich in der lokalen Wirtschaft breitzumachen, verweist Roberti darauf, dass in Neapel seit dem Zweiten Weltkrieg neben dem legalen Markt der vielleicht noch größere Schwarzmarkt existiere. Er werde von den Behörden toleriert, um die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten und um ganzen Bevölkerungsgruppen das Überleben zu ermöglichen, die andernfalls wegen des Mangels an legaler Arbeit „verschwinden“ müssten. Die aktuelle Krise sei vielleicht die letzte Gelegenheit zu beweisen, dass der Staat, wenn er will, stärker sein kann als die Camorra.

Giuseppe Lombardo, Antimafia-Staatsanwalt in Reggio Calabria, analysiert das Verhalten der `ndrangheta: In der ersten Phase der Krise ziele das Vorgehen darauf, den bisher bekannten kriminellen sozialen Kontext nicht zu destabilisieren, man bevorzuge deshalb eine „Tätigkeit in der Stille“. Sobald aber die Zahlen zurückgingen, die Notsituation sich abschwäche, würde die `ndrangheta versuchen, die neuen Szenarien im Bereich der Wirtschaft und der Finanzen in Italien und im Ausland ganz genau zu erforschen. In dieser Phase würden weltweit Analysten von den großen Mafien beauftragt, die einträglichsten produktiven Sektoren zu ermitteln, in die dann die immensen Summen kriminellen Geldes fließen könnten- An der Spitze der `ndrangheta liefen dann die Planungen für das bisher größte „Finanz-Doping“ aus Mafia-Kapital, das die Welt in jüngster Zeit gesehen hätte. Die Aufgabe der „Basis“ werde es sein, die Rolle der `ndrangheta als „atypischer sozialer Stabilisator“ zu festigen und mit zinslosen Darlehen mittellosen Privatpersonen und Unternehmern kurz vor der Insolvenz unter die Arme zu greifen. Die Vertreter der Kommandozentrale der `ndrangheta würden zunächst einmal das Ziel verfolgen, das Überleben breiter Bevölkerungsschichten zu garantieren, die für jede Art illegalen Markt tätig sind und deshalb keinen Anspruch auf staatliche Hilfen anmelden können. Man werde selbstverständlich auch nicht darauf verzichten, das so erworbene Ansehen in der Bevölkerung für die eigenen Zwecke zu nutzen. Außerdem, so Lombardo, werde man sich die Situation zunutze machen, dass die nötigen Summen für die Bewältigung der Krise durch den Staat fehlten und dass lediglich illegales Kapital sofort verfügbar und völlig flexibel einsetzbar sei: Die großen Mafia-Organisationen, befürchtet der Staatsanwalt, würden sich nicht mehr damit begnügen, sich kleine oder große Betriebe anzueignen, sie werde noch mehr als bisher versuchen, ihre Stellung im Bereich der essentiellen Dienstleistungen zu festigen. Er nennt hier den Banken- und Finanz-Sektor, das gesamte Gesundheitswesen, die Pharma-Industrie und alle lebenswichtigen Produkte. Dass dies geschehe, müsse zum Schutz der legalen Wirtschaft unbedingt durch eine sofortige Reform der Antimafia-Gesetzgebung verhindert werden.

Täglich liest man von ähnlich lautenden Warnungen, die auch die sog. Phase 2 der Krise einbeziehen.

Stellvertretend dafür die schriftliche Stellungnahme des Chefs der Staatspolizei und Leiter der Hauptabteilung für innere Sicherheit im Innenministerium in Rom Franco Gabrielli: Interpol hat den Text an 194 Regierungen verschickt, die zur Organisation Interpol gehören, denn in ihm werden die möglichen Auswirkungen der Corona-Krise auf die Aufgaben der Polizei und auf die Entwicklung der OK beschrieben. Die Corona-Krise stelle eine Situation dar, wie man sie sich schlimmer nicht vorstellen könne. Sie berge das Risiko eines „Finanz-Dopings“ durch Gelder krimineller Herkunft und das eines parallelen Sozialsystems, das von den großen Mafia-Organisationen finanziert und organisiert werde. Heute verteilten die Mafien im Süden Italiens Grundnahrungsmittel an die Familien, die nicht auf die Ankunft der von der Regierung angekündigten Essensgutscheine warten könnten. Außerdem hätten sie einen Generalerlass auf die Bezahlung von Kreditzinsen erlassen. In Phase 2 könnte der Druck durch die Mafien geradezu explodieren. Entscheidend sei deshalb schon heute die Strategie, die von den Polizeikräften entwickelt werde, wenn man den Rechtsstaat aufrecht erhalten und die Wirtschaft vor der Vergiftung durch die OK bewahren wolle. Nach einer Analyse der aktuellen Situation, die im Wesentlichen der von Giuseppe Lombardo entspricht, nennt er die vier Maßnahmen, die deswegen jetzt getroffen werden müssen: 1. Die Kontrolle der betroffenen Infrastrukturen muss verschärft, die Maßnahmen im Bereich der Prävention müssen verstärkt und wirkungsvoller gemacht werden. 2. Es müssen größtmögliche Anstrengungen im Bereich der Ermittlungsarbeit unternommen werden, um zu sehen, in welcher Weise sich die kriminellen Organisationen neu aufstellen. 3. Die Wirtschafts- und Finanzkreisläufe müssen genauestens analysiert und kontrolliert werden, um zu vermeiden, dass Mafia-Kapital in die legalen Kreisläufe eingeschleust wird. 4. Und da die bestbezahlten Analysten schon am Werk seien, um für die Mafien die nach der Corona-Krise profitabelsten Gelegenheiten zu prüfen, müsse man die Mafia-Infiltration bei den „großen Bauwerken“ (in Italien z.B. die Hochgeschwindigkeits-Bahnstrecke Turin-Lyon) verhindern und die transnationale Zusammenarbeit der Polizeikräfte verstärken und weiter ausbauen.    

Problemfeld Gefängnisse: Gleich nach Ausbruch der Corona-Krise, als die Regierung Anfang März die Besuche von Angehörigen in den Gefängnissen stoppte, gab es über ganz Italien verteilt gleichzeitig (zwischen dem 7. Und 9. März) heftige Revolten in 22 Haftanstalten. Die Ermittlungen dazu gehen inzwischen von einer okkulten Regie aus dem Kreis der Mafiaorganisationen aus, während die konkrete Ausführung Aufgabe von Kleinkriminellen war. Das Ergebnis: zig geflohene Häftlinge, zig Verwundete, 22 Tote (laut Behördenangaben seien alle an einer Überdosis Methadon oder anderer Medikamente verstorben, die sie in den Gefängnisapotheken gestohlen hatten.). Ziel der Aktion: Die Themen Amnestie, Straferlass und Hafterleichterung wieder zur Tagesordnung machen. Und die Strategie hatte Erfolg: Verschiedene Stimmen verlangen z.B. für mindestens 10 000 Häftlinge die Haft durch Hausarrest zu ersetzen, während vor allem Vertreter der Justiz darin ein Nachgeben des Staates auf einen Erpressungsversuch der Mafien sehen.

Nino Di Matteo meint, „selbst wenn es sich tatsächlich nicht um eine Kapitulation des Staates gegenüber der Mafia handelt, es könnte danach aussehen“. Noch deutlicher wird Nicola Gratteri: „Wenn ich Justizminister wäre, würde ich jetzt zuerst alle Haftanstalten gegen jedes Telefonsignal abschirmen. Es ist doch kein Zufall, dass die Revolten über eine Distanz von über 1000 km gleichzeitig ausbrechen. Das passiert, weil die Gefängnisse voller Handys sind. Wie könnte es sonst sein, dass um 10 Uhr morgens eine Revolte in Foggia ausbricht und zur gleichen Uhrzeit eine in Modena?“ Wen die genauen (und interessanten) Ergebnisse der bisherigen Ermittlungen interessieren:
Ilfattoquotidiano.it

Die Mafien in Zeiten des Corona-Virus – Antimafia-Experten schlagen Alarm

Die Mafien in Zeiten des Corona-Virus – Antimafia-Experten schlagen Alarm

Italien: In den letzten Tagen häufen sich die Warnungen von namhaften Antimafia-Experten, wie die Mafien von der Pandemie profitieren werden.

Hier eine Auswahl:

Roberto Saviano, Autor des Romans „Gomorra“, meldet sich zuerst zu Wort. Zwar schränke die Ausgangssperre den Aktionsradius der Mafiosi in der Öffentlichkeit ein, doch beweise die Mafia auch jetzt ihre Anpassungsfähigkeit. Ein Beispiel: Statt die Drogen wie bisher auf Straßen und Plätzen zu verticken, entdecke man jetzt die Pusher in den Schlangen vor den Supermärkten oder man biete Lieferung ins Haus. Viel wichtiger aber ist seiner Meinung nach die Tatsache, dass die Mafien in den letzten Jahrzehnten in alle Bereiche des täglichen Lebens investiert haben, z.B. in Firmen, die die verschiedensten Dienstleistungen anbieten, in den Logistik-Sektor, in Bestattungsunternehmen, usw. usw. bis hin zum Handel mit Nahrungsmitteln und zur Übernahme von Tankstellen. Damit können sie, sobald die Lieferketten nicht mehr richtig funktionieren, in die Bresche springen und das Gewünschte zu ihren eigenen Bedingungen anbieten. Hinzu kommt, dass die Katastrophensituation dazu führt, dass die Medien sich auf das eine Thema des Augenblicks konzentrieren und andere wichtige Bereiche nicht mehr mit der nötigen Aufmerksamkeit verfolgen. Insgesamt, so Saviano, bedeute die Pandemie für die Mafia hervorragende Geschäfte und das von ihr so geschätzte Stillschweigen.

Der nationale Vizepräsident der Antiracket-Organisation (FAI), Renato De Scisciolo, macht darauf aufmerksam, dass Wucherei und Erpressung nicht in Quarantäne gehen und dass die OK dabei sei, sich neu aufzustellen. Auch wenn die Regierung Conte in ihrem letzten Dekret „Cura Italia“ eine Norm eingefügt habe, die Banken und Finanzinstitute auffordere, im Augenblick auf die Zurückzahlung von Darlehen und Ratenzahlungen zu verzichten, so seien doch bisher zahlreiche Anzeigen eingegangen, dass Banken ihre Kunden ständig zur sofortigen Rückzahlung der Schulden drängen. „Wir sind bereit, die Direktoren dieser Banken und Finanzbüros anzuzeigen“. Außerdem, so De Scisciolo, bestehe die Gefahr, dass diejenigen, die Angst haben, in der Krise alles zu verlieren, sich an Kredithaie wenden.

Auch der Antimafia-Staatsanwalt von Catanzaro (Kalabrien) Nicola Gratteri sieht diese Gefahr: Die `ndrangheta, so Gratteri, hat Geld im Überfluss und kann es sich leisten, Geld zu verleihen ohne groß auf Sicherheiten zu bestehen. Anfangs werde sie Kredite zu niedrigen Zinsen anbieten, um sich als Wohltäter aufzuspielen, doch es bestehe das Risiko, dass auf diese Weise nach und nach legale Unternehmen an Strohleute der `ndrangehta übergehen. Aber auch Privatleute, vor allem die Ärmsten der Armen, bekämen Hilfe: Man biete ihnen eine Arbeit (natürlich Schwarzarbeit) für 30 Euro am Tag, wodurch eine psychologische Abhängigkeit entstehe. Durch `ndrangheta-Kredite wachse diese Abhängigkeit weiter, und bei den nächsten Wahlen würden diese Personen selbstverständlich ihre Stimme für ihre Wohltäter abgeben. So gelinge es der `ndrangheta, die Zustimmung in der Bevölkerung zu steigern.

Der nationale Antimafia-Staatsanwalt Cafiero De Raho fordert wie Gratteri die Regierung auf, sich auch um die ärmsten Bevölkerungsgruppen zu kümmern, die sonst leicht zur Beute für die Mafia würden.

Auch Pietro Grasso, ehemaliger nationaler Antimafia-Staatsanwalt und Senatspräsident, befürchtet, dass die Mafia vor allem bei der besitzlosen Bevölkerung neues Terrain gewinnen wird. Der Versuch, Supermärkte in Neapel und Palermo zu überfallen, zeigt, dass “vor allem im Süden ein soziales Pulverfass“ lauert, so der Minister des Südens Provenzano: „Die Situation könnte von einem Moment auf den anderen eskalieren“. Berichte von Geheimdiensten warnen angeblich sogar vor denkbaren Revolten. Auch bei diesem Problem, so bemerkt Antonino Di Matteo, Staatsanwalt des Prozesses zur trattativa, könnte die Mafia erheblichen Einfluss nehmen, indem sie die Unzufriedenheit mit der Regierung noch weiter anheizt. Der Antimafia-Staatsanwalt Tartaglia schließlich formuliert seine Besorgnis so: Er sieht in der augenblicklichen Situation ein Unwetter, das die vier perfekten Vorbedingungen für die Geschäfte der Mafia in sich vereint: Geldmangel, ein soziales Pulverfass, die Aussicht auf riesige Geldsummen zur Bewältigung der Krise und die Unterschätzung der Risiken durch die Entscheidungsträger.

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Die Mafien in Zeiten des Corona-Virus II

40 Jahre Kampf gegen die Mafia – zwei Aktivisten im Dialog

Elena Ciccarello, die für das neue Medium der Antimafia-Organisation Libera „lavialibera.libera.it“ arbeitet, hat Letizia Battaglia, die über die Grenzen Italiens hinaus bekannte Mafia-Fotografin, und Leoluca Orlando, der im Augenblick zum fünften Mal Bürgermeister in Palermo ist, gebeten, sich zu einigen Aspekten des Kampfes gegen die Mafia zu äußern….Antimafiaduemila.com

  1. Die achtziger Jahre – der Frühling von Palermo

Letizia Battaglia beschreibt die Anfänge ihrer Beziehung zu Leoluca Orlando, als sie bemerkte, Fotografin zu sein genügte ihr nicht mehr, sie wollte mehr tun. Und auch wenn Orlando zur Democrazia Cristiana gehörte, was ihr überhaupt nicht behagte, so spürte sie eine gewisse Affinität. Er ermunterte sie, für den Stadtrat zu kandidieren. Hier schaltet sich Orlando ein: Das Gesicht der Mafia in den achtziger Jahren war das Gesicht des Bürgermeisters und des Regierungschefs Giulio Andreotti. Deshalb hätten ihn die Mafia-Freunde in seiner Partei, angefangen vom Premier, als Kommunisten bezeichnet, als gottlos, und das nur weil er den Kampf gegen die Mafia für eine Priorität hielt. Letizia erinnert die achtziger Jahre als „die schönste Zeit“ ihres Lebens, denn man konnte endlich etwas tun, man konnte anfangen, die Verhältnisse zu ändern, und was man machte, machte man mit Liebe, was ihr Gesprächspartner bestätigt: Man war sich in Palermo mit der Mehrheit der Bevölkerung einig, was zu tun war, auch wenn die Leute ihre Zustimmung aus Angst nicht offen äußerten.

  1. Die Skandale in der Antimafia

Der Skandal in der sizilianischen Unternehmervereinigung Confindustria, so Orlando, ist ein Fall von Überheblichkeit. Genau die Überheblichkeit, die Leonardo Sciascia schon Jahre zuvor kritisiert hatte, was der Antimafia einen immensen Schaden zugefügt hat (1). Er wisse nicht, was er über solche Leute sagen solle – und er nennt weitere Beispiele – über Leute, die eine Region in Geiselhaft genommen haben, und das im Namen des Kampfes gegen die Mafia! Aber die Skandale seien notwendig gewesen. Sie hätten die Antimafia von der Notwendigkeit befreit, mit berühmten Vertretern für ihre Ziele zu werben. Früher seien sie notwendig gewesen, früher, d.h. in einer Zeit, wo Antimafia-Aktivisten isoliert waren, wo man auf eine Piazza ging, um eine Wahlversammlung abzuhalten – und man stand da ganz allein. Aber die „Bewegung der Leintücher“ (2), die Menschenketten, die Empörung in der Bevölkerung und die Arbeit in den Schulen hätten dazu geführt, dass diese Zeit zu Ende gegangen ist. Wenn sich heute, so Orlando, jemand hinstellt und sagt, ich bin ein wichtiger Vertreter der Antimafia, dann handelt es sich um einen Betrüger.

  1. In Palermo regiert heute nicht mehr die Mafia.

Orlando verweist stolz darauf, dass im Rathaus heute kein Mafioso mehr regiert. Auch wenn das komisch klinge, aber man müsse sich bei der Mafia bedanken: Dank ihr sei das Heer der Blinden, der Tauben, der Stummen richtiggehend dezimiert worden. Die Mafia-Attentate hätten die ganze Stadt gezwungen, besser zu werden. Und Letizia erinnert sich, dass man sich früher nachts in Palermo nicht auf die Straße getraut habe. Jetzt könne jemand einwenden, das sei doch ein unbedeutendes Detail. Sie jedoch finde, das sei eine große Sache: Die Leute hätten sich ein bisschen geändert, und die Leute spürten, dass sich in Palermo etwas geändert hat. Das heiße, jetzt gebe es ein bisschen Ruhe und Frieden in Palermo. Und das sei das Ergebnis eines langen Weges, der sich ganz langsam entwickelt habe. Und es sei möglich geworden, weil einige Personen ihr Leben geopfert haben, weil es Politiker gab, die sich engagiert haben, weil es einen Bürgermeister gab – und sie scherzt: Ich weiß nicht, weshalb er immer noch auf dem Bürgermeisterstuhl sitzt – und ihr fällt ein Beispiel ein, wie Orlando in seinen ersten Jahren als Bürgermeister versucht hat, in die dunklen Straßen der Stadt etwas Leben zu bringen: Er bezahlte Musiker, die vor den dunklen und leeren Restaurants im Zentrum auftreten mussten, um die Aufmerksamkeit der Leute auf sich zu ziehen. So etwas, so schließt sie, vergisst man nicht. Und Orlando strahlt: Wenn du heute in ein Lokal in Palermo gehst, dann fühlst du dich nicht mehr als ein „insulso sgradito“ – ein unwillkommener Idiot.

  1. Was bedeutet es heute, Antimafioso zu sein?

Orlando antwortet wie aus der Pistole geschossen: „Zu wissen, dass zur Mafia zu gehören keine Vorteile verschafft“ – und Battaglia: „Es bedeutet, seine Pflicht zu tun, hart für das zu arbeiten, was du tust und dabei deinen Enthusiasmus nicht zu verlieren. Wir und viele, viele andere, wir sind glücklich darüber, dass wir uns weiter engagieren können. Diese Arbeit bedeutet Schönheit. Sie ist die Art und Weise, wie wir unsere Schönheit ausdrücken können. Orlando: Für den 16. Dezember 2020 plane er die 2. Konvention von Palermo mit den Vereinten Nationen (3). Der Focus dieser Konferenz liege dann aber nicht mehr auf dem juristischen Aspekt des Problems, sondern auf den Interessen der Zivilgesellschaft. Denn auf Grund der großen Veränderungen in der Welt seit der 1. Antimafia-Konvention von Palermo im Jahre 2000 sei der Aspekt der Zivilgesellschaft viel wichtiger geworden als Probleme im Bereich der Justiz. Mit dieser neuen Antimafia-Konvention wolle man sozusagen das zweite Rad des Sizilianischen Karrens begründen: das erste Rad sei das der Legalität, das zweite das der Rechte.

  1. Mission beendet, aber nicht vollendet

Letizia: Wenn ich an die Jahre des Kampfes denke, kann ich nur sagen: Sie waren wunderbar! Wunderbar, weil kämpfen können ein Luxus ist. Orlando und ich, wir haben diesen Luxus gehabt, und wir haben für Palermo etwas erreicht, was bleibt. Orlando: ich will das zusammenfassen: Wenn ich heute Nacht den Löffel abgebe, dann sterbe ich glücklich. Wir sind diesen langen Weg gegangen, vom Anfang bis heute und wir können sagen: Mission beendet, aber nicht vollendet. Und Letizia bestätigt – nein, sie ist nie vollendet – aber das mit dem Sterben lässt du schön sein!

  1. Sciascia kritisierte 1987 in einem Artikel des Corriere della Sera die Methoden der sog. Profi-Antimafia-Aktivisten und nannte als Beispiele auch Paolo Borsellino und Leoluca Orlando. Dadurch entstand ein großer Schaden für die italienische Antimafia-Bewegung, weil die zahlreichen Kritiker auf die damalige Antimafia-Autorität, L. Sciascia, verweisen konnten.
  2. Die Bewegung der Leintücher gründete sich in Palermo nach den beiden Attentaten auf Giovanni Falcone und Paolo Borsellino.
  3. Die erste Palermo Konvention wurde am 15. November 2000 beschlossen und ist von 147 Nationen unterzeichnet worden.

Ein Leintuch gegen die Mafia: „Die Mafia fürchtet die Schule mehr als die Justiz“

Unternehmer in Kalabrien: Eine Mafia-Erpressung anzuzeigen ist gefährlich

Die Razzia Helianthus gegen den `ndrangheta-Clan Labate, Spitzname Ti mangiu (Ich fress dich), der ein Stadtviertel von Reggio Calabria völlig beherrscht, war nach 8 Jahren Ermittlungen möglich geworden, da zu den Abhörmaßnahmen, zu der Auswertung von Überwachungskameras und zu den Aussagen von Kronzeugen auch Anzeigen von lokalen Bauunternehmern kamen.

Die Staatsanwaltschaft Reggio ordnete Personenschutz für die Unternehmer an, die die Erpressungen durch den Clan angezeigt hatten. In der Pressekonferenz anlässlich der Razzia betonte der Staatsanwalt Giovanni Bombardieri, dass die Unternehmer, die schon jahrelang Opfer des `ndrangheta-Clans seien, jetzt entschlossen seien, einen neuen Schritt zu wagen und die Erpresser anzuzeigen: Diese Leute „müssen wissen, dass wir da sind, dass der Staat auf ihrer Seite ist.“

Im Artikel des fatto quotidiano werden Aussagen aus den Vernehmungen von Unternehmern zitiert, hier zwei Beispiele:

Der Bauunternehmer Francesco Presto weigert sich anfangs, auch nur die kleinste Aussage vor dem Staatsanwalt zu machen, er scheint vollkommen terrorisiert von der Idee, den Namen des `ndrangheta-Bosses Pietro Labate auch nur auszusprechen. „Dottore, wenn ich ihnen sage, dass ich Probleme hatte, dann bin ich morgen tot! Die da sind total verrückt, Dottore, die haben nichts zu verlieren, wissen Sie, da kommen wir nie mehr nach Hause!“ Der Staatsanwalt versucht weiter, ihn davon zu überzeugen, dass er der Staatsanwaltschaft vertrauen könne: „Sie müssen sich wirklich keine Sorgen machen. Unser Interesse ist, dass Sie in Reggio bleiben und dass Sie weiter in Reggio arbeiten!“ Dann, bevor Presto endlich seine Aussage machen will, legt er dem Staatsanwalt noch das Wohl und das Leben seiner Familie ans Herz und beginnt mit Tränen in den Augen seinen Bericht:

Seine Firma wollte in dem vom Clan Labate kontrollierten Viertel von Reggio einen Häuserblock errichten. Unmittelbar nach Einrichtung der Baustelle taucht dort der Boss Pietro Labate in Begleitung eines zweiten Manns auf und eröffnet das Gespräch mit Beschimpfungen und Beleidigungen. „Sie haben mir gesagt, dass ich in ihr Revier eingedrungen sei, ich hätte vorher bei ihnen um Erlaubnis fragen müssen, dass ich keine Ahnung hätte, was sich gehört. Habt Ihr verstanden, was die mir gesagt haben? Wenn jemand arbeiten möchte, muss er erst bei denen um Erlaubnis fragen, habt Ihr das verstanden? So also ist das, ich muss die zuerst um Erlaubnis fragen? Dass die dort verfügbare Arbeit ihnen gehöre, dass die mich nichts angehe, dass sie als erste da waren. Da habe ich ihnen gesagt, Entschuldigung, habe ich euch etwa angeboten für mich zu arbeiten? Da antwortet der: Du, du … du Flegel, halt einfach den Mund, du schuldest uns jetzt 200 000 Euro, egal ob du da mit den Arbeiten weitermachst oder nicht!“

Ein anderer Unternehmer behauptet zunächst, was sein Kompagnon vor dem Staatsanwalt ausgesagt habe, stimme überhaupt nicht: „Die Labate haben nie Geld von uns verlangt.“ Doch nach einer Weile gesteht er, sein Kompagnon habe einmal zu ihm gesagt: „Wenn wir hier was aufziehen, dann sind wir sicherlich bald gezwungen, jemandem einen Kaffee auszugeben.“ Mit dem Kaffee ist natürlich das Schutzgeld gemeint. Und dann gibt er zu „Wir haben den Ti mangiu 20 000 Euro gegeben… Dottore, jetzt habe ich hier was wie einen Knoten… In Wahrheit… Ihre Forderung war noch höher, 30 000 Euro waren das. Seit dieser Zeit zittere ich nur noch. Morgens habe ich Angst, aus dem Haus zu gehen. Bevor ich das Haus verlasse, gehe ich zur Balkontür und schaue mir den Wagen vor dem Haus an, nachts wache ich auf, weil ich gedacht habe: Zu wem kommen die? Zu mir. Dottore, ich sage ihnen ganz ehrlich, mit dem Herz in der Hand, es sind jetzt zwei Monate, dass ich praktisch keine Nacht mehr schlafe.“

Die Ermittlungsakten des Einsatzkommandos in Reggio dokumentieren, wie die Schutzgelderpressung in Reggio funktioniert: In den abgehörten Gesprächen wiederholen sich Sätze wie „Was machst du hier? Was erlaubst du dir? Hier machst du, was ich dir sage. Hier macht keiner was, weder du noch Gott Vater persönlich!“ Ein Staatsanwalt meint: Wenn man in Reggio einen Stein von seinem Platz bewegen oder ein Geschäft eröffnen oder auch nur einen Atemzug machen will, braucht man die Erlaubnis der Labate. Und ein weiterer Bauunternehmer ergänzt: „Eine Baufirma wird sofort erpresst, wenn sie eine Baustelle anlegt. Das ist hier leider übliche Praxis. Es schafft praktisch niemand, einem Erpressungsversuch oder einer wirklichen Erpressung zu entkommen. Die meisten Firmen sind von Vergeltungsmaßnahmen betroffen oder riskieren sogar ihr Leben.“

„Von wegen den Mund halten! Man muss laut schreien!“ (Zitat von Libero Grassi, Unternehmer aus Palermo, der von der sizilianischen Mafia umgebracht wurde, weil er sich weigerte, Schutzgeld zu zahlen)

Ilquotidianoinclasse.corriere.it/il-coraggio-di-non-pagare-il-aeoepizzoae%C2%9D-voi-ce-laeavrestea/il-coraggio-di-non-pagare-il-pizzo-2/

„Geschlossen wegen Schutzgelderpressung“ 

Palermo.gds.it/articoli/cronaca/2018/05/16/soldi-per-le-famiglie-dei-carcerati-due-arresti-a-palermo-ma-i-commercianti-non-confermano-le-accuse-8b54791b-183d-4287-857a-e1a94f776ce7/

Hunderte mutmaßliche Mafiosi verhaftet

Morde, Erpressungen, Wucher und Geldwäsche. 334 Festnahmen bei Anti-Mafia-Razzia in Italien. Die ‚Ndrangheta verdiendte nach Recherchen des italienischen Eurispes-Instituts mit dem Drogenschmuggel 300 bis 350 Millionen Euro – pro Woche.

Bei der größten Anti-Mafia-Operation seit den 1980er-Jahren sind am Donnerstag in Italien 334 Personen festgenommen worden. Prominente Anhänger der kalabrischen ‘Ndrangheta, Unternehmer und Politiker mussten entweder in U-Haft oder in den Hausarrest, teilte die italienische Polizei am Donnerstag mit. Den Verdächtigten werden unter anderem Morde, Erpressungen, Wucher und Geldwäsche vorgeworfen.

Die kalabrischen Justizbehörden ermittelten gegen insgesamt 416 Personen. Über 260 Verdächtige wurde Untersuchungshaft verhängt, 70 bekamen Hausarrest, vier weitere dürfen nicht mehr an ihren Wohnort zurückkehren. Zu Festnahmen kam es auch in Deutschland, der Schweiz und Bulgarien. Unter den Festgenommenen waren kalabrische Politiker, darunter ein Ex-Senator und der Bürgermeister einer Gemeinde in Kalabrien, teilten die Ermittler mit.

Die Ermittlungen zeigen enge Verstrickungen der ́Ndrangheta mit der Mafia in der süditalienischen Region Kalabrien und der Politik auf. 2.500 Carabinieri waren bei der Razzia im Einsatz. Insgesamt 15 Millionen Euro wurden beschlagnahmt. Die Aktion konzentrierte sich auf die kalabrische Provinz Vibo Valentina, erstreckte sich aber bis nach Norditalien.

“Was die Zahl der Festnahmen betrifft, handelt es sich um die wichtigste Anti-Mafia-Operation seit jener, die die (von der Mafia im Jahr 1992, Anm.) ermordeten Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino geführt hatten”, berichtete der Oberstaatsanwalt von Catanzaro, Nicola Gratteri, am Donnerstag. Er gilt als einer der prominentesten ́Ndrangheta-Experten….334 Festnahmen bei Anti-Mafia-Razzia in Italien

Wie die ‘Ndrangheta zur größten Mafia der Welt wurde

Historische Operation gegen die Mafia: Hunderte Verdächtige werden festgesetzt. Doch wie wurde die kalabrische Mafia ‘Ndrangheta eigentlich so mächtig?Es sind Politiker, Unternehmer und sogar ein Polizist darunter: Der Polizei ist ein aufsehenerregender Schlag gegen die Mafia in Kalabrien gelungen. Doch die Festnahme von Hunderten Verdächtigen ist nicht nur für Italien eine große Nachricht: Die ‘Ndrangheta gilt heute als weltweit mächtigste Mafiaorganisation und kontrolliert von Dörfern in Süditalien aus große Teile des weltweiten Drogenhandels. In Deutschland ist sie spätestens seit den Mafiamorden von Duisburg bekannt, als sechs Menschen vor einer Pizzeria erschossen wurden…
Wie die ‘Ndrangheta zur größten Mafia der Welt wurde

In der Region Kampanien ist zudem die Camorra angesiedelt, eine seit dem 16. Jahrhundert existierende Mafiafamilie. Sie besteht aus weitgehend autonom agierenden Clans, die Drogen- und Waffenhandel, Produktpiraterie und Schutzgelderpressung betreiben, aber auch illegal Müll entsorgen und ganze Segmente der legalen Wirtschaft unterwandert haben…
Europaweite Aktion 2500 Polizisten im Einsatz
– Hunderte mutmaßliche Mafiosi verhaftet

Festnahmen bei internationaler Razzia gegen ‚Ndrangheta.
Paolo Calleri / www.paolo-calleri.de

 

Der europäische Gerichtshof für die Rechte von Mafiabossen

Diesen Titel wählt der italienische Mafiaexperte, Journalist und Herausgeber der Zeitung Antimafiaduemila Giorgio Bongiovanni für seinen Bericht über ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

Geklagt hat ein Boss der `ndrangheta, Marcello Viola. Er sitzt im Gefängnis wegen mehrfachen Mordes, wegen Beseitigung einer Leiche, wegen Entführung und illegalem Waffenbesitz. Insgesamt vier Mal lebenslänglich haben die Gerichte verhängt. Einer der Morde ist wegen der besonderen Grausamkeit erwähnenswert: 1991, am sog. „Schwarzen Freitag“, wurden in Taurianova (Kalabrien) innerhalb weniger Stunden vier Personen getötet, und eines der Opfer, Giuseppe Grimaldi, wurde von dem Killerkommando geköpft. Anschließend wurde der abgeschlagene Kopf auf der Piazza als Ziel eines Schießstandes zum Abschuss für alle freigegeben. Noch am gleichen Tag versuchte Viola, die ganze Familie Grimaldi auszulöschen: Mit zwei anderen Männern brach er ins Haus der Familie ein und versuchte, den Sohn und die anderen Verwandten zu entführen, was glücklicherweise nicht gelang. Deshalb sitzt er jetzt im Gefängnis, wobei ihm Vergünstigungen versagt werden, weil er bisher jede Art von Zusammenarbeit mit der Justiz verweigert hat. Allerdings konnte er im Gefängnis Hochschulabschlüsse in Biologie, Medizin und Chirurgie machen und folgt aktuell einem Studiengang in Betriebswirtschaft. Nun haben sich seine Anwälte an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gewandt und gegen die Verhängung der Urteile zu lebenslänglicher Haft geklagt – und am 13.6.2019 Recht bekommen. Der EGMR stellt fest, dass das italienische Gesetz zum „ergastolo ostativo“ (lebenslängliche Haftstrafe ohne die Möglichkeit auf vorzeitige Entlassung) Artikel 3 der Europäischen Konvention zu den Menschenrechten verletze, die Folter, unmenschliche und herabwürdigende Strafen, und das Fehlen einer Möglichkeit zur Resozialisierung untersage.

Italien hat daraufhin Widerspruch eingelegt und argumentierte mit der invasiven Präsenz der Mafia-Organisationen auf italienischem Gebiet. Auch wenn im Art. 4bis der italienischen Strafvollzugsordnung festgelegt sei, dass Haftvergünstigungen (Preise, Arbeit außerhalb des Gefängnisses, Alternativen zur Haft, doch nicht die vorzeitige Entlassung) dem Häftling im verschärften Strafvollzug nur zugestanden werden, wenn er mit der Justiz zusammenarbeitet, so dass evident werde, dass seine Beziehungen zur OK unterbrochen seien, so sei trotzdem im gleichen Artikel festgelegt, dass die Vergünstigungen auch dann möglich sind, wenn seine Zusammenarbeit mit der Justiz für Ermittlungen „objektiv irrelevant“ sei. Die einzige conditio sine qua non sei, wenn der Häftling auch im Gefängnis noch Verbindung zur OK habe. Dies ist im vorliegenden Fall gegeben. Die Behörden sind sich sicher, dass Viola für seinen Clan immer noch die Rolle des Bosses innehat.

Und wie argumentiert Straßburg?

Ein Staat könne nicht lebenslänglich ohne die Möglichkeit auf vorzeitige Entlassung verhängen, nur weil der Häftling nicht zur Zusammenarbeit mit der Justiz bereit sei. Die Verweigerung einer Zusammenarbeit bedeute, „nicht notwendigerweise“, dass der Verurteilte seine Taten nicht bereut habe und immer noch in Kontakt mit seiner kriminellen Organisation stehe, was ja tatsächlich eine Gefahr für die Gesellschaft bedeutet. Die Weigerung könne auch andere Gründe haben, z.B. die Angst um das eigene Leben oder das seiner Angehörigen. Also, so die Richter von Straßburg, sei eine Entscheidung für die Zusammenarbeit mit der Justiz nie ganz freiwillig. Und Italien wird aufgefordert, das entsprechende Gesetz zu ändern.

Die Mafiabosse und ihre Anwälte jubilieren!

Und die Stellungnahmen italienischer Experten?

Zitiert werden im Artikel von Antimafiaduemila nur zwei Stellungnahmen (des ehemaligen Staatsanwalts Gherardo Colombo und des Ex-Senators Luigi Manconi), die den „ergastolo ostativo“ für nicht mit der italienischen Verfassung vereinbar halten. Die überwältigende Mehrheit derer, die sich zu Wort melden, sind jedoch gegenteiliger Meinung und über den Richterspruch empört oder entsetzt:

Stellvertretend für die vielen Experten (Antimafia-Richter, Politiker, Journalisten, Vertreter der Mafia-Opfer) hier nur die Stellungnahme von Nicola Morra, dem Präsidenten der Parlamentarischen Antimafia-Kommission: Das Urteil bedeute auch „eine Beleidigung für Generationen von Sizilianern, Italienern, Richtern und Kriminalbeamten, die zur Verteidigung des Staates gehandelt haben und deshalb in abscheulichen Attentaten von der Mafia eliminiert wurden. (…) Der Staat bekämpft den Einsatz von Sprengstoff, indem er mit Margeriten wirft.“

Von Alfonso Bonafede, Justizminister: Er sieht auch den Artikel 41 bis in Gefahr (Haft zu verschärften Bedingungen)

Und von Roberto Scarpinato,dem leitenden Antimafia-Staatsanwalt von Palermo: Er meint, den ergastolo ostativo abzuschaffen, bedeute, den Kampf gegen die OK aufzugeben. (…)

Zu behaupten, dass die Gefangenen keine freie Wahl hätten, ob sie mit der Justiz zusammenarbeiten wollten oder nicht, weil sie sich damit der Gefahr für Leib und Leben aussetzten, sei gleichbedeutend mit der Behauptung, der italienische Staat hätte bewiesen, dass er nicht in der Lage sei, das Leben der Kronzeugen und ihrer Angehörigen zu schützen, während die Realität der letzten Jahrzehnte eindeutig das Gegenteil beweist, nämlich dass der italienische Staat sehr wohl in der Lage war und ist, das Leben von Hunderten von Kronzeugen und ihrer Familien dadurch zu schützen, dass man sie mit einer neuen Identität an anderen Orten untergebracht und ihnen die Möglichkeit eröffnet habe, ein neues Leben zu beginnen.

Indem das Gericht den Häftlingen das Recht zuspricht, nicht mit der Justiz zusammenzuarbeiten, weil sie sich damit der Rache der Mafia aussetzten, vermittle es damit eine äußerst negative Boschaft: Man könne kein Vertrauen haben in den Staat, dass er in der Lage sei, das Gesetz gegen die Übermacht der Mafia durchzusetzen. Damit sei auch gesagt, dass die Mafia mächtiger sei als das Gesetz. (…)

Noch paradoxer sei das Argument der Straßburger Richter, das italienische Gesetz (…) verletze das Recht des Gefangenen auf Selbstbestimmung und seine Würde. Scarpinato zitiert den Richter Wojtyczek, der als einziger gegen den Straßburger Richterspruch gestimmt und das o.g. Argument schlichtweg „rätselhaft“ genannt hat. Dieser Richter kritisiert das Urteil, da das Gericht damit seine Kompetenzen überschritten habe, indem es sich an die Stelle des italienischen Gesetzgebers setze und eine politisch alternative Gesetzgebung fordere, die dem Recht des Gefangenen selbst zu bestimmen, wie er seine Resozialisierung gestalten wolle, mehr Gewicht gebe als dem Schutz der Kollektivität. (…)

Die Abschaffung des ergastolo ostativo nähme dem Staat ausgerechnet das Instrument, das die Mafiosi wirklich fürchten: Lebenslange Haft, was für sie bedeute, ihre Macht zu verlieren und ihre angehäuften Reichtümer nicht mehr genießen zu können. Aufgrund seiner jahrzehntelangen Erfahrung könne er sagen, dass Mafiabosse auch nach 30 Jahren Haft sofort wieder in die Aktivitäten der Mafia Eingang fänden. Mafia-Häftlinge seien außerdem stets mustergültige Gefangene, die dadurch nach dem italienischen Gesetz eine Reduktion ihrer Strafe erführen: Für jedes Jahr ihrer Haft mit guter Führung erhielten sie drei Monate angerechnet. Eine 10jährige Haftstrafe reduziere sich so auf achteinhalb Jahre und zwanzig Jahre auf fünfzehn. Gebe der Gefangene dann noch ein formelle Erklärung ab, mit seiner Vergangenheit als Mafioso gebrochen zu haben, sei klar, wie schwierig eine Entscheidung über Hafterleichterungen für den zuständigen Richter würde. Geht die Erklärung, sich von Cosa Nostra zu distanzieren auf eine gelungene Resozialisierung, auf eine tatsächliche Änderung der Lebenseinstellung des Gefangenen zurück oder ist sie das Ergebnis einer geschickten Strategie der Verschleierung? Entdecke man dies erst nach der Haftentlassung, riskiere man damit das Leben weiterer Opfer und die Glaubwürdigkeit des Staates im Kampf gegen Mafia-Verbrechen. Ein Problem, das der italienische Gesetzgeber vermeiden wollte, indem er den Zugang zu Hafterleichterungen der Zusammenarbeit mit der Justiz untergeordnet habe, womit er ein Gleichgewicht herstellen wollte zwischen dem Interesse der Gesellschaft und den Rechten des Einzelnen.

Ich persönlich halte die Differenzierung des italienischen Gesetzgebers nach Gefangenen und Gefangenen, die sich bei ihren Verbrechen durch besondere Unmenschlichkeit und Gefährlichkeit ausgezeichnet haben, für weise. Die von Straßburg kritisierte Gesetzgebung betrifft Mafia-Verbrechen, Terrorismus und Pädophilie. Dies befriedigt mein Bedürfnis nach Gerechtigkeit.

Der `ndrangheta-Boss, der in Straßburg geklagt hat, ist wegen mehrerer Morde und anderer Vergehen zu vier Mal lebenslänglich verurteilt worden. Einem Opfer den Kopf abzuschlagen und ihn dann auf der Piazza zum Abschuss für alle freizugeben, halte ich für eine beispiellose Grausamkeit, für Unmenschlichkeit. Der Boss Viola verdient für mich damit keine zweite Chance.

Dass es für das Gericht keine Rolle zu spielen scheint, dass Viola von den zuständigen Richtern in Italien immer noch für den Boss seines Clans gehalten wird – was einhergeht mit der Aussicht, dass neue Opfer für seine „nicht entwürdigende“ Behandlung bezahlen müssen, empört mich ebenso wie die Tatsache, dass der besonderen Grausamkeit, die Tausende von Mafia-Opfern, darunter Richter, Polizisten, Politiker, Journalisten usw. usw., in Italien erfahren haben, nicht im mindesten Rechnung getragen wird. Ich verstehe vollkommen die Verbitterung zahlloser Angehörigen von Mafia-Opfern. Das Urteil bedeutet für mich, dass nach Meinung der Straßburger Richter die Interessen eines einzelnen Bosses (Hunderte werden seinem Beispiel folgen) wichtiger sind, als die von Opfern und ihrer Angehörigen. Auch die Interessen der Gesellschaft, dass nämlich die Mafiosi daran gehindert werden, weitere Verbrechen und weitere Morde zu begehen, sollen nach diesem Urteil den Interessen eines einzelnen untergeordnet werden. Das scheint jetzt europäisches Recht zu sein, aber Gerechtigkeit ist das nicht! Das Gericht hätte besser die Mitgliedsstaaten aufgefordert, sich an der beispielhaften und effizienten italienischen Antimafia-Gesetzgebung ein Beispiel zu nehmen und endlich den Kampf gegen die OK wirklich aufzunehmen!..rsw.beck.de

Sie haben Falcone und Borsellino ein zweites Mal umgebracht. Die Straßburger Richter legen Italien nahe, den zu lebenslänglicher Haft verurteilten Gefangenen Vergünstigungen zu gewähren. – Gratteri: Der Staatsanwalt von Catanzaro, der zur `ndrangheta ermittelt: „Damit sind 150 Jahre Antimafia zunichte gemacht, die Bosse jubeln“