Seit kurzem ist es amtlich: Die Staatsanwaltschaft Florenz ermittelt wieder gegen Berlusconi und seine „rechte Hand“ Marcello Dell’Utri wegen des Verdachts, die Mafia-Attentate in Mailand, Florenz und Rom in Auftrag gegeben zu haben.
Freunde und Parteigänger schreien deshalb angeblich entsetzt auf. Der Name dessen, der am lautesten schreit, ist auch außerhalb Italiens bekannt: Matteo Renzi. „Ohne den Hauch eines Beweises“ werde da wieder ermittelt, so der ehemalige Regierungschef des PD (Sozialdemokraten), ähnliche Töne vernimmt man nun von allen Seiten. Marco Travaglio, Direktor der Tageszeitung Il fatto quotidiano, listet unter dem Titel „x-te Wiederholung für Esel“ die Fakten auf, auf die sich die Staatsanwaltschaft stützt und die offensichtlich vielen Politikern völlig unbekannt sind, dabei ist das nötige Material – vor allem die vollständigen Texte der Gerichtsurteile – frei verfügbar im Internet, man muss nur willens sein, sie zur Kenntnis zu nehmen.
Hier Travaglios Aufzählung:
- 1992-93 sahen B. und Cosa Nostra, wie „ihre“ Parteien unter den Schlägen von Mani pulite untergingen (1). Ist es so absurd zu glauben, dass sie sich darüber einig waren, wie notwendig die Gründung einer neuen Partei war, die ihnen beiden, B. und Cosa Nostra, Garantien bieten würde?
- Die Idee zur Partei Forza Italia hatte Marcello Dell’Utri (2) im Mai 1992 – er hatte sich vorher noch nie mit Politik beschäftigt – aber „von 1974 bis 1992“ war er „der Mittelsmann des Paktes zwischen Berlusconi und Cosa Nostra“, (so das definitive Urteil gegen Marcello Dell’Utri wegen Mafia); und er gründete sie 1993 mit dem Geld und den Fernsehkanälen von B. Was soll daran merkwürdig sein, dass er darüber und über B. mit seinen Mafia-Freunden gesprochen hat?
- Am 21. Mai 1992 sprach Paolo Borsellino in einem Interview mit dem französischen Sender Canal plus (das im italienischen Fernsehen nie gesendet worden ist) über seine noch laufenden Ermittlungen gegen Mangano (3), B. und Dell’Utri. Zwei Tage später wurde Falcone in die Luft gesprengt, 59 Tage später er selber. Nur ein bedauerlicher Zufall?
- Anfang 1993 gründeten Provenzano, Bagarella &Co (4) die autonomistische Partei Sicilia libera und am Ende desselben Jahres lösten sie sie wieder auf, um Wahlkampf für die neugegründete Forza Italia zu machen. Noch ein Zufall?
- In den Gipfelgesprächen in Arcore im April `93 trieben Dell’Utri, Previti und Ferrara B. an, während Letta, Confalonieri und Costanzo ihn bremsten. (5) Am 14. Mai entkam Costanzo wie durch ein Wunder einem Bombenattentat der Mafia. Ein weiterer Zufall?
- In den Terminkalendern von Dell’Utri sind im November `93 zwei Treffen mit Vittorio Mangano vermerkt, der erst kurz zuvor aus dem Gefängnis entlassen worden war, 19 Jahre nach seinem Engagement als „Stallmeister“ im Hause B. Worüber sprachen die beiden? Von der Partei, deren Gründung Dell’Utri vorantrieb, oder – wie er beschwört – von Manganos Gesundheitsproblemen?
- Am 19./20. Januar `94 ist Giuseppe Graviano, Mafiaboss aus Brancaccio, in Rom und bestellt seinen Lieblingskiller Gaspare Spatuzza, der schon für die Bomben in Via D’Amelio (Attentat gegen Borsellino), in Via dei Georgofili (Attentat in Florenz `93), in Via Palestro (Attentat in Mailand `93) und bei den beiden Basiliken in Rom (`93) verantwortlich war, in die Bar Doney in Via Veneto. Sie liegt gegenüber dem Hotel Majestic, in dem damals Dell’Utri sich aufhält, um die Kandidaten für Forza Italia auszuwählen. Dort – so berichtet Spatuzza später – vertraut ihm der Boss an, dass B. und Dell’Utri dabei sind, „Italien in die Hand zu bekommen“. Aber dafür sei es noch notwendig, dem Staat „den Gnadenstoß“ zu versetzen: das Attentat auf das Olympiastadion von Rom. (6) Weshalb sollte Spatuzza, ein stets glaubwürdiger Kronzeuge, angefangen bei seinem Geständnis zum Attentat in der Via D’Amelio, mit dem er alle Manipulationen bei der Rekonstruktion des Attentats hinweggefegt hat (7), ausgerechnet diesen Satz erfunden haben?
- Am 23. Januar `94, zwei Monate vor den vorgezogenen Wahlen, versucht Cosa Nostra das Attentat auf das Olympia-Stadion von Rom, doch es missglückt: Die Fernbedienung für den Zünder funktioniert nicht. Das Attentat wird auf einen der folgenden Sonntage verschoben. Doch am 26. Januar „begibt sich B.“ mit seiner allseits bekannten Videobotschaft „aufs Spielfeld der Politik“. Am 27. Januar werden die Mafia -Brüder Graviano in Mailand festgenommen. Cosa Nostra cancelt das Attentat auf das Stadion und legt die Waffen weg. Haben die Mafiabosse `92/`93 nur ohne Sinn und Verstand geschossen oder waren sie inzwischen die Attentate ein bisschen leid oder wollten sie der Partei ihres Freundes keine Schwierigkeiten machen?
- Nachdem B. die Wahlen gewonnen hat, geht er an die Regierung und erlässt sofort das Dekret Biondi , das drei Gesetze zu Gunsten der Mafia enthält. Dell’Utri hatte Mangano gegenüber diese Gesetze schon bei ihren Besprechungen in der Villa in Como angekündigt. B. seinerseits zahlt nach all diesen Attentaten auch als Regierungschef weiterhin jedes halbe Jahr 250 Millionen Lire an Cosa Nostra. Die pax mafiosa trägt die ersten Früchte, oder sind auch dies nur Zufälle?
- 1996 spricht der Boss Salvatore Cancemi, Mitglied der Kommission von Cosa Nostra, (der damals beschlossen hatte, mit der Polizei zusammenzuarbeiten und für die Justiz der wichtigste Kronzeuge war) von B. und Dell’Utri als von den externen Auftraggebern der Attentate. Zig andere Kronzeugen machen eine gleichlautende Aussage. Aber auch angenommen, diese Aussagen gäbe es nicht, so ist da noch der sture Mafiaboss Giuseppe Graviano, der 2016-17 im Gefängnis abgehört wird. Er erzählt dem ihm zugeordneten Gefährten für den täglichen Spaziergang, die Attentate seien „ein Gefallen“ gewesen, den „Berlusca“ von ihm verlangt habe. Und er bebt vor Zorn auf B., weil „ich vor 25 Jahren mit dir zusammengesessen, gegessen und getrunken habe“, „ich habe dir Wohlstand gebracht“, und dann „wurdest du zum Verräter“, „du hast mir den Dolch reingerammt“, „du lässt mich im Gefängnis verrecken“. Weshalb sollte er, wenn er von den Attentaten spricht, B. ins Spiel bringen und sich über dessen Verrat aufregen, sich eine Erpressung überlegen? Hatte er Langeweile? Wollte er ein Späßchen machen oder haben B. und Dell’Utri tatsächlich in den Jahren `93/`94 etwas von ihm verlangt und ihm etwas versprochen?
Und der Journalist schließt seine Aufzählung: Renzi und die anderen allseits bekannten Mafiologen sollen uns ihre Interpretation der Fakten mitteilen. Da wird es was zu lachen geben!
Anmerkungen:
- Die Partei, auf die sich Cosa Nostra stützte, war die Democrazia Cristiana, geführt über lange Jahre von Giulio Andreotti, B.s Partei war die seines Mentors Bettino Craxi: die Sozialistenpartei. Beide gingen in den Korruptionsskandalen von Mani pulite unter.
- Marcello Dell’Utri, mit B. schon zu Universitätszeiten befreundet, in verschiedenen Funktionen immer an der Seite des Unternehmers und dann des Politikers B., büßt nach der definitiven Verurteilung wegen Zugehörigkeit zur Mafia eine siebenjährige Haftstrafe ab, im Prozess zur trattativa wurde er 2018 in erster Instanz zu 12 Jahren Haft verurteilt.
- 1974 wurde B. die Entführung seiner Kinder angedroht. Dell’Utri besorgte zur Sicherheit der Familie daraufhin den Mafiaboss Vittorio Mangano aus Palermo. Offiziell arbeitete Mangano als Stallmeister in B.s Villa.
- Bernardo Provenzano: Nach der Festnahme von Totò Riina (`93) Boss der Bosse in der Cosa Nostra; Leoluca Bagarella: nach Riinas Festnahme übernahm er das Kommando über den militärischen Flügel der Cosa Nostra und führte Riinas Strategie der blutigen Attentate fort.
- Previti: Anwalt und Vertrauter von B., Verteidigungsminister unter der Regierung B.; Ferrara: einflussreicher Journalist, Herausgeber von Il Foglio, Mitglied der B.-Regierungen; Letta: 3x Staatssekretär des Präsidenten B., später Vermittler zwischen FI und dem PD von Renzi; Confalonieri: Unternehmer und enger Freund von B.; Maurizio Costanzo: einer der bekanntesten Moderatoren im italienischen Fernsehen, in seiner Costanzo-Show wurde auch das Thema Kampf gegen die Mafia diskutiert.
- Das Attentat hätte Hunderten von Polizisten das Leben gekostet, die zur Sicherung des Fußballspiels eingeteilt waren.
- Die Ermittlungen zum Attentat gegen Paolo Borsellino in Via D’Amelio wurden von Anfang an in einer Weise manipuliert, die man auch in Italien vorher noch nie gekannt hatte: Ein falscher Kronzeuge beschuldigte sich selbst, das Attentat organisiert zu haben, und brachte 10 unschuldige Personen ins Gefängnis. Die Manipulationen flogen auf, als Gaspare Spatuzza, der wirkliche Autor des Attentas, sich entschloss mit der Justiz zusammenzuarbeiten…