Österreich: Drehtüreffekt der Langzeitarbeitslosen

„Menschen, die sich nicht gewollt fühlen“
Interview von Verena Kainrath:  Die Gruppe an nicht voll leistungsfähigen Arbeitnehmern wächst, sagt Judith Pühringer, Vertreterin der sozialen Unternehmen

STANDARD: Produziert der Arbeitsmarkt zusehends Verlierer?
Pühringer: Wir haben den Drehtüreffekt: Die Menschen gehen bei der einen Seite rein und fallen bei der anderen wieder heraus. Maßnahmen, durch die sie geschleust werden, greifen nicht. Dieses Phänomen wird sich verschärfen.

STANDARD: Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist heuer im Vorjahresvergleich um 30 Prozent gestiegen.
Pühringer: 2013 war jeder fünfte Arbeitslose länger als ein Jahr oh-ne Job, 2014 jeder vierte, heuer ist es jeder dritte. Die Zahlen steigen dramatisch. Dennoch wurde der öffentliche Fokus lange nicht darauf gelenkt. Denn Maßnahmen, die helfen, diese Menschen wieder ins Erwerbsleben zu führen, sind teuer, intensiv und komplex.

STANDARD: Wer ist besonders gefährdet, dauerhaft aus dem regulären Arbeitsleben zu fallen?
Pühringer: Früher waren vor allem ältere Menschen mit Einschränkungen betroffen. Heute reicht das Alter als Ausschlussfaktor aus.

STANDARD: Und ab wann zählt man mittlerweile zum alten Eisen?
Pühringer: Ab Ende 40. Ab 45 ist man beim Arbeitsmarktservice bereits ein älterer Arbeitssuchender. Gefährdet ist zudem die Gruppe der Wiedereinsteiger – vor allem Frauen, die aufgrund ihrer Kinder lang vom Arbeitsmarkt weg waren oder nur teilzeitbeschäftigt waren. Ohne begleitende Maßnahmen fällt auch der Wiedereinstieg nach Krankheiten und psychischen Beeinträchtigungen schwer. Und es gibt natürlich Spezialfälle, etwa rund um Suchterkrankungen.

STANDARD: Ist das Bonus-Malus-System der richtige Weg, um Unternehmer zumindest zu einer stärkeren Beschäftigung Älterer zu bewegen?
Pühringer: Es ist ein guter erster Schritt. Ohne symbolisches System, in dem es auch Strafen, Abschlagszahlungen gibt, wird es nicht funktionieren. Zusätzlich braucht es Begleitmaßnahmen, wie sie etwa skandinavische Länder seit den 80er-Jahren vorleben.

STANDARD: Viele Betriebe klagen, dass sie Leute suchen, aber keine ausreichend qualifizierten finden. Warum passen Angebot und Nachfrage nicht mehr zusammen?
Pühringer: Das ist sehr eindimensional gedacht. Viele Betriebe machen es sich einfach. Sie zeigen wenig Flexibilität, Jobs neu zu gestalten, haben starre Konzepte: Entweder die Leute passen zu 100 Prozent rein oder nicht. Nur wenige sind auf Ältere eingestellt, geschweige denn auf Menschen mit Behinderung oder Burnout. Unternehmen gehören hier in die Pflicht genommen. Es geht oft einfach auch darum, Menschen, die sich nichts zutrauen, die sich nicht mehr gewollt und gebraucht fühlen, zu motivieren. Soziale Unternehmen haben darin viel Erfahrung.
Menschen, die sich nicht gewollt fuehlen

Nel Ioan Cozacu www.w-t-w.org/en/nel-ioan-cozacu www.nelcartoons.de

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