Italien: „Dottore, Müll ist pures Gold!“

(sagt der Ex-Camorrista zum Nationalen Antimafia-Staatsanwalt Franco Roberti, als er seinen Entschluss bekannt gibt, auf die andere Seite zu wechseln und mit der Justiz zusammen-zuarbeiten.)

In Italien wird aktuell eine Video-Reportage der Online-Zeitung Fanpage heftig diskutiert.

Diskutiert wird sie wegen der ungeheuerlichen Vorgänge, die alle mit versteckter Kamera dokumentiert worden sind.

Diskutiert wird sie zweitens, weil die Reportage die Verwicklung von Roberto De Luca, Haushaltsexperte im Stadtrat von Salerno und Sohn des Ministerpräsidenten der Region Kampanien, Vincenzo De Luca, beweist. Roberto De Luca ist übrigens inzwischen zurückgetreten – unter Wehklagen und lauten Protesten des anwesenden Publikums (!!!)


(Video der Rücktrittserklärung mit der Reaktion des Publikums)

  1.  Diskutiert wird sie drittens, weil die Hauptrolle ein ehemaliger Camorrista spielt, der nach 21 Jahren im Gefängnis die Nachricht gestreut hat, dass er sein Business mit jeder Art von Müll wieder aufnehmen möchte. Und was passiert? Er wird mit Anfragen aus Behörden-, Unternehmer- und Politikerkreisen überschüttet. Diskutiert wird die Frage: Darf man ehemalige Straftäter als agent provocateur einsetzen?Nunzio Perrella, Mitglied eines mächtigen Camorra-Clans, der bis in die 90er Jahre mit der illegalen Müllentsorgung in ganz Italien Geschäfte gemacht hat, beschließt nach abgesessener Haftstrafe, sein Wissen offiziell dem Staat zur Verfügung zu stellen, handelt sich aber nur Absagen ein. Also verbreitet er die Kunde im Milieu und plötzlich wird er mit Anfragen bombardiert. „Ich mache das unter Lebensgefahr für mich und meine Angehörigen, weil alle wissen, wie es läuft, aber keiner macht etwas!“ sagt er einleitend.

Das Müllproblem in Neapel besteht seit über 20 Jahren und hat den italienischen Steuerzahler bisher 20 Milliarden Euro gekostet. Weite Gebiete des Golfes von Neapel sind durch die 50 Millionen „Ecoballe“ (zu Ballen gepresster unbearbeiteter Müll) zu einer Mondlandschaft geworden. Deshalb heißt die Gegend vom Golf von Neapel bis Caserta seit langem „Terra dei fuochi“ – Feuerland, mit ausdrücklichem Bezug auf den von der Camorra verbrannten Giftmüll. Inzwischen gibt es Studien, die belegen, dass in diesem Raum das Risiko einer Krebserkrankung für Männer 46% und für Frauen 21% höher ist als im restlichen Süden.

Bevor Nunzio Perrella in den 90er Jahren auspackte, war das Thema der kriminellen Müllentsorgung wenig bekannt und nicht im Focus der Ermittler. Wie einträglich die Geschäfte mit der Müllentsorgung waren, zeigt u.a. die Tatsache, dass Perrellas Clan aus dem Drogenhandel ausstieg und sich auf die illegale Müllentsorgung verlegte. Perrellas Aussagen vor dem Staatsanwalt haben damals zur Festnahme von –zig Personen geführt: kriminelle Unternehmer, Politiker, Beamte der Behörden.

Leider hat sich seit den 90er Jahren nichts geändert, dies belegt die Reportage, im Gegenteil!

Als Perrellas offizielle Anfragen bei den Behörden keinen Erfolg haben, wendet er sich schließlich an die online-Zeitung Fanpage. Er bietet an, den Journalisten ein Giftmüll-Depot der Camorra in Ferrara (Nord-Italien) zu zeigen – und tatsächlich! Seine Angaben stimmen. Dies ist der Anfang der Zusammenarbeit zwischen einem Ex-Camorrista und Fanpage.

Die Verbreitung der Nachricht, Perrella nehme seine Geschäfte von früher wieder auf, verbreitet sich wie ein Feuer… im Milieu. Er erhält unzählige Anrufe, darunter einer, der ihn direkt mit der SMA Campania (Unternehmen der Region Kampanien für Umweltschutz) in Kontakt bringt. Der Behördenleiter bietet Verhandlungen zur Beseitigung von Klärschlamm an, da seien „Unsummen“ zu verdienen. Das Gespräch wird von Perella dokumentiert: Der Behördenleiter bestätigt darin, dass die illegale Beseitigung von Klärschlamm schon seit Jahrzehnten im Gange sei, und betont, dass natürlich alle Beteiligten und Mitwisser daran verdienen müssten: „Wir müssen ja alle satt werden.“ Interessanterweise ist der Beamte in Begleitung eines Politikers: eines Parteisekretärs, der für die Partei „Fratelli d’Italia“ (Brüder Italiens, eine Partei der extremen Rechten, die im Wahlkampf mit dem Slogan „die Italiener zuerst“ geworben hat) in den Parlamentswahlen vom März 2018 kandidiert hat. Auf einem Zettel rechnet dieser aus, wie viel Schmiergeld an Unternehmer und Politiker gezahlt werden müsste.

Dass ein Parteisekretär eine entscheidende Rolle bei den Verhandlungen spielt, ist, so erklärt Roberto Saviano, der die Reportage kommentiert, eine bekannte Mafia-Taktik: Der Politiker, der den Auftrag für das Geschäft gegeben hat, muss geschützt werden. Sollte das kriminelle Geschäft auffliegen, ist der Parteisekretär der Sündenbock. Der Politiker kann behaupten, nichts gewusst zu haben.

Während die „Entsorgung“ des Klärschlammes im Gange ist, wendet sich erneut jemand aus der SMA in anderer Sache an den Experten für illegale Müll-Entsorgung: Der Mittelsmann, ein Ex-Carabiniere, bringt Perrella direkt zu Roberto De Luca.

Wer ist Roberto de Luca? Er hat verschiedene Funktionen: Er ist Sohn des Minister-präsidenten von Kampanien, Vincenzo De Luca, er ist als Assessor im Stadtrat von Salerno zuständig für Haushaltsfragen und arbeitet außerdem als Finanzberater mit eigenem Büro.

Das Geschäft besteht in von der Region ausgeschriebenen Großaufträgen zur Entsorgung von „Ecoballe“. Zwei von fünf Tranchen sind schon vergeben, für Perrella blieben also drei. Staatsaufträge müssen offiziell ausgeschrieben werden, betont De Luca, also müsse sich P. bei der Region akkreditieren. Saviano erklärt, dass der Kontakt zur Region von De Luca vorgeschlagen wird, weil dadurch sein Vater, der Ministerpräsident, am Geschäft beteiligt wird. Es ist nämlich gar nicht geplant den vom Gesetz vorgegebenen Weg zu gehen. Man arbeitet in Kampanien seit Jahrzehnten damit, das Müllproblem zum „Notfall“ zu erklären, das macht eine direkte Zuteilung der Staatsaufträge, unter Umgehung der Vorschriften (es handelt sich ja um einen Notfall) möglich. Für die direkte Zuteilung der Aufträge soll P. ein Schmiergeld von 2×25 000 Euro bezahlen.

Der Geldkoffer wird jedoch lediglich mit Müll befüllt. Als die Person, die mit der Geld-übergabe beauftragt ist, dies entdeckt, riecht sie nicht im mindesten Verrat, sondern glaubt, es handle sich um eine Mafia-Warnung. Offensichtlich, so glaubt er, hat er sich nicht genügend angestrengt, das Vertrauen des Camorrista zu gewinnen. Erneuter Anruf bei Perrella: Er will einen neuen Termin für die Geldübergabe. Der neue Termin steht. – Doch was passiert? Die Polizei von Neapel schwärmt aus: Durchsuchung von Haus und Büro!

Doch das ist noch nicht das Ende. Eine neue Anfrage kommt aus dem Veneto, Vermittlerin ist eine Signora, die im Umweltministerium in Rom arbeitet.

Camorra-Gelder sollen gewaschen werden, indem man einer pleite gegangenen Firma in Marghera (Veneto) anbietet, dort eine Lagerhalle für Ecoballe zu errichten. Mit den nötigen Arbeiten könnte eine große Summe recycelt werden. Im Gespräch mit der Signora betont P., dass es sich bei den zu waschenden Geldern um Geld der Camorra handele.

Sie: Aha, aber das kümmert doch niemand! –

Perella: Es handelt sich aber um total schmutziges Geld. An dem Geld klebt Blut! –

Sie: Ja, ja, wir waschen es ja, okay, okay.

Es ist auch Lösegeld von einer Entführung von 2005 dabei –

Sie nickt nur, und will davon nichts hören. Dabei hätte sie an dieser Stelle merken können, dass da etwas nicht stimmt: Die Mafia-Entführungen in Italien haben Anfang der 90er Jahre aufgehört.

Und das Ergebnis? Gegen acht Beteiligte wird nun von der Staatsanwaltschaft Neapel ermittelt wegen Korruption, schwerer Korruption und illegaler Parteienfinanzierung…..Radio24.

Darunter sind aber auch der Direktor von Fanpage und der Autor der Reportage, gegen die wegen „Anstiftung zur Korruption“ ermittelt wird.

In Italien gibt es nämlich kein Gesetz, das für Ermittlungen wegen Korruption den Einsatz eines agent provocateur vorsieht – wie es z.B. in den USA möglich ist.

Man debattiert nun heftig die Frage: Ist es legitim, verdeckte Ermittler einzusetzen?

Es sollen hier nur zwei Autoritäten zitiert werden: Der Präsident der Antikorruptionsbehörde Raffaele Cantone erklärt einerseits sein Entsetzen über die in der Video-Reportage dokumentierten Verhandlungen, andererseits aber erscheint ihm der Einsatz eines agent provocateur zu gefährlich und daher nicht opportun.

Der Antimafia-Staatsanwalt Nino Di Matteo dagegen hält die Recherchen von Fanpage für „wertvoll“ und verweist darauf, dass er schon bei mehreren offiziellen Gelegenheiten gefordert habe, den Einsatz von verdeckten Ermittlern, wie er in Italien gesetzlich schon beim Drogen- und Waffenhandel und bei Pädopornographie vorgesehen ist, auch auf Korruptionsfälle auszuweiten. Er begründet seine Forderung damit, dass Korruption ein Verbrechen ohne Zeugen ist und beide Seiten kein Interesse daran haben zu reden. Allerdings müsse ein solcher Einsatz unter strikter Überwachung durch den Staatsanwalt stattfinden*.

*Aussagen und Vorgaben verschiedener Gerichte zum Thema: Provocateur
Quelle für den ganzen Artikel: Fanpage.it/

 Schild: Kaufe Gold, höchste Preise
Repubblica.it/

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