Die Reform der Grundsteuer überfordert Bürger und
verschont Oligarchen
„Die einfachen Bürger werden vorgeführt“, kritisiert der Anti-Geldwäsche-Experte
Andreas Frank, der die beiden EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland angestoßen hatte. „Sie messen pflichtbewusst ihre Immobilien aus, um die exakte Quadratmeterzahl zu berechnen.“ Danach müssten sie Kurse belegen, um das Elster-Formular zur Grundsteuer überhaupt ausfüllen zu können und das auch noch bezahlen. „Und sie gehen das Risiko ein, bei ungenauen Angaben strafrechtlich belangt zu werden“, sagt Frank. „Eigentlich müssten die Finanzbehörden an die großen Fische ran. Unter Strafandrohung einfordern, dass die wahren Besitzer sich identifizieren und belegen, woher sie das Geld für die Immobilie haben und wo die Steuern entrichtet wurden“, sagt Frank. „Widersetzen sich die Angeschriebenen, sollte der Staat die Immobilie konfiszieren“, fordert er. „Aber das will unsere Bundesregierung nicht tun. Nur die Bürger müssen alles offenlegen.“….
Die Reform der Grundsteuer überfordert Bürger und verschont Oligarchen
Die Bundesregierung verpasst Kritikern zufolge die Chance, undurchsichtige
Eigentumsstrukturen zu beseitigen. Die erleichtern Geldwäsche internationaler
Verbrecher wie der Mafia.
Von Markus Zydra, Frankfurt
In Deutschland kümmere man sich beim Kampf gegen Finanzkriminalität stark
um die kleinen Fische, doch „die dicken Fische, die schwimmen uns davon“,
sagte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) im Spätsommer. Damals
versprach er einen „neuen Ansatz“ im Kampf gegen Geldwäsche und
Terrorfinanzierung. Auch die „effektive Durchsetzung von Sanktionen
angesichts des Ukraine–Kriegs“ funktioniere nicht, gestand Lindner ein, und
zwar wegen der hiesigen Behördenstruktur. Er wolle, „dass die ehrlichen
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nicht die Dummen sind, weil diejenigen, die
sich nicht an die Regeln halten, profitieren können und man ihnen nicht auf die
Spur kommt“.
Während Lindner seine Pläne präsentiert, kämpfen sich Millionen Bundesbürger
durch die Grundsteuerunterlagen. Die Grundsteuerreform wurde auf Forderung
des Bundesverfassungsgerichts angestoßen. Für die Neuberechnung müssen
jetzt fast 36 Millionen Grundstücke neu bewertet werden. Die elektronische
Übermittlung ist nicht nur für ältere Menschen kompliziert. Die Frist zur
Abgabe wurde deshalb bis Ende Januar 2023 verlängert.
Die Grundsteuerreform wäre nach Ansicht von Experten eine gute Chance
gewesen, um beispielsweise endlich zu erfahren, welche sanktionierten
russischen Oligarchen in Deutschland Immobilien besitzen. Auch andere
Personen vermeiden es, solche Besitzverhältnisse offenzulegen – mithilfe
undurchsichtiger Eigentumsgeflechte. Das Netzwerk Steuergerechtigkeit schätzt
den Wert von Immobilien im Besitz von Briefkastenfirmen in Deutschland in
einer Studie auf 300 Milliarden Euro. Schon lange beklagen Städte und
Kommunen, dass sie nicht wissen, wem manche Grundstücke und Immobilien
in Bestlagen gehören.
All diese Immobilienfirmen müssen jetzt im Rahmen der Grundsteuerreform
ebenfalls die Formulare der elektronischen Steuererklärung, kurz Elster,
bestücken. Während einfache Bürger am Ausfüllen der geforderten Angaben
verzweifeln, habe die Bundesregierung hier im Kampf gegen Finanzkriminalität
eine gute Gelegenheit verpasst, sagen Fachleute. „Oft verstecken internationale
Verbrecher und sanktionierte russische Oligarchen ihre Immobilienvermögen
hinter komplexen Firmenstrukturen“, beklagt der SPD–Bundestagsabgeordnete
Andreas Schwarz im Gespräch mit der SZ. Der Betriebswirt ist Mitglied in der
Parliamentary Intelligence–Security, einem vom US–Kongress organisierten
Forum, in dem internationale Fachleute und Politiker Maßnahmen zur
Bekämpfung von Terrorfinanzierung entwickeln. SPD–Politiker Schwarz meint:
„Wenn man jetzt schon diesen Aufwand mit der Grundsteuer betreibt, dann
hätten die Finanzbehörden, wie bei den Bürgern auch, bei den Unternehmen
nachfragen müssen, wer die wahren Eigentümer der Grundstücke sind. Das war
eine verpasste Chance.“ Das Bundesfinanzministerium teilte dazu mit, dass die
generelle Ermittlung eines wirtschaftlich Berechtigten zu einem
unverhältnismäßigen Überprüfungs– und Verwaltungsaufwand führen würde.
Mafiöse Organisationen, Diktatoren, autokratische Geheimdienste, Oligarchen
und Kleptokraten waschen in Deutschland jährlich etwa 100 Milliarden Euro –
aus ihren kriminellen Geschäften mit Menschen, Drogen, Waffen und
Umweltzerstörung. Der Betrag entspricht einem Viertel des Bundeshaushalts.
Die Verbrecher investieren ihr Vermögen hierzulande sehr oft auf dem 15
Billionen Euro schweren deutschen Immobilienmarkt.
„Teilweise unsoziale Bewertungsverfahren“
Auch Steuerexperten sprechen daher von einer verpassten Chance. „Der
Gesetzgeber hätte überlegen sollen, ob er im Rahmen der
Geldwäschebekämpfung die Grundsteuerreform nutzen kann“, sagt Johannes
Stößel, Steuerberater und Dozent an der Universität Bamberg. Beispielsweise
könne man durch eine reformierte Erhebung die wirtschaftlich berechtigten
Personen von Immobilien, die sich teilweise durch
Kapitalgesellschaftskonstruktionen versteckten, in Erfahrung bringen. „Anstatt
die gesetzgeberischen Ressourcen in unterschiedliche Ländermodelle und
teilweise unsoziale Bewertungsverfahren wie in Bayern zu investieren, wäre
dies ein sinnvoller Ansatzpunkt gewesen, die grundsätzlich notwendige
Grundsteuerreform zu nutzen.“
Deutschland hat dem dreckigen Geld jahrzehntelang die Tür aufgehalten. Die
EU–Kommission strengte bereits 2005 und 2009 wegen mangelhafter
Umsetzung des Geldwäschegesetzes ein Vertragsverletzungsverfahren gegen
Deutschland an. Doch viel besser wurde es nicht. Das globale Anti–
Geldwäschegremium „Financial Action Task Force“ (FATF) beklagte 2022 in
seinem Deutschland–Bericht, die zuständigen Behörden täten zu wenig, um
Finanztransaktionen großer Verbrechersyndikate zu ermitteln und gerichtlich zu
verfolgen. In seiner Zeit als Bundesfinanzminister verteidigte Olaf Scholz (SPD)
die Regelung, dass man in Deutschland eine Immobilie mit einem Koffer voll
Bargeld bezahlen darf. Dieses Geschäftsgebaren soll nun mit dem Sanktionsdurchsetzungsgesetz II verboten werden. Allerdings: Wenn
Immobiliengeschäfte künftig verbotenerweise in bar abgewickelt würden, bliebe
der Eigentumsübergang davon unberührt.
Sueddeutsche.de