So das Ergebnis einer Analyse der Situation in Europa durch den Experten Vincenzo Musacchio (1). In Europa tummeln sich insgesamt ca. 4000 Mafien und mafiaähnliche Organisationen. Sie machen Geschäfte im internationalen Handel, im globalen Feld der Logistik, im Mobilfunk, in den Medien und im Internet und haben inzwischen ein kriminelles Netzwerk geknüpft. Aber die unbestrittenen Herrscher in Europa sind die italienischen Mafien und sie sind die gefährlichsten, da sie den Nutzen der Kooperation entdeckt haben.
Auf diese neue Situation sind die für den Kampf gegen Mafien und Korruption eingerichteten Behörden überhaupt nicht vorbereitet. Europol spricht von einer Ausbreitung der italienischen Mafien in Europa, die sich vor allem in Spanien, Bulgarien, Großbritannien, Deutschland, Österreich, Schweiz und Portugal in geradezu schwindelerregendem Tempo vollzieht. Besonders aktiv sind sie im Drogen-, Menschen-, Organ- und Waffenhandel, und in den letzten 10 Jahren haben sie sich vor allem auch auf Subventionsbetrug und auf die Geschäfte im Finanzbereich und im internationalen Handel spezialisiert. Ihre Methoden sind extrem raffiniert, was die Aufdeckung der Verbrechen ziemlich erschwert. Sie zeichnen sich auch durch besonderes Geschick bei kriminellen Aktivitäten im Netz und bei der Geldwäsche aus, so dass die Behörden nicht einmal dazu in der Lage sind, die Zahl der Verbrechen auch nur einzudämmen.
Die `ndrangheta zum Beispiel hat sich ein tragfähiges Netzwerk geschaffen, zu dem auch Komplizen auf internationaler Ebene zählen. Die Globalisierung der Finanzmärkte, die zunehmende Deregulation des Kapitals, die neuen Technologien, die Digitalisierung im Finanzsektor haben das Wachstum der legalen Wirtschaft befördert, dies gilt aber in gleicher Weise für die illegale Wirtschaft. Die organisierte Kriminalität kann sich in unglaublich kurzer Zeit auf neue geopolitische Veränderungen einstellen, ein Beispiel ist, dass unmittelbar nach dem Fall der Mauer in Berlin die italienischen Mafien für die neuen Bundesländer die Parole ausgaben „Kaufen, kaufen, kaufen!“
Spanien ist für die italienischen Mafien ein wichtiges Land, in dem Geldwäsche hervorragend funktioniert. Die kriminellen Gewinne werden dort in Geschäften und Firmen, in Immobilien, in Restaurantketten und anderen Bereichen gewaschen, die sich besonders gut dafür eignen. In England kontrolliert die italienische organisierte Kriminalität den Handel mit Drogen aus der Türkei, Afghanistan und Pakistan. Holland ist besonders interessant, da im größten Hafen Europas, in Rotterdam, die Drogen aus den südamerikanischen Ländern eintreffen, um dann auf ganz Europa verteilt zu werden. In Brüssel trifft man auf Clans der drei größten Mafien Italiens. Cosa Nostra und `ndrangheta arbeiten auch in Luxemburg und im Fürstentum Monaco. In Bulgarien, Slowenien und Kroatien sind Gruppen der Camorra, der `ndrangheta und der Sacra Corona Unita aktiv, die untereinander, aber auch mit anderen kriminellen Clans in Ost-Europa kooperieren. Schmuggel, Drogen- und Waffenhandel, aber auch der Handel mit Giftmüll und das Feld der Sportwetten sind dort für sie die wichtigsten Betätigungsfelder.
Die Situation ist als dramatisch einzuschätzen. Und was macht die EU? Sie scheint den Kampf gegen die OK noch nicht einmal aufnehmen zu wollen. Wie sonst soll man es interpretieren, dass von dem europäischen Gesetz, das Zugehörigkeit zur Mafia unter Strafe stellt und die Beschlagnahmung von Mafiabesitz vorsieht, und von der Einrichtung spezieller Behörden zur Bekämpfung der OK noch nicht einmal mehr die Rede ist.
Europa braucht einen europäischen Antimafia-Staatsanwalt, das Verbrechen „Zugehörigkeit zur Mafia“ muss auf alle europäischen Staaten ausgedehnt werden, und die Maßnahmen jedes Mitgliedslands zur Beschlagnahmung von Mafiabesitz müssen gegenseitig anerkannt werden. Dies wäre ein guter Anfang und ein entscheidender Impuls für den Kampf gegen die Vorherrschaft der Mafien in Europa.
- Vincenzo Musacchio, Professor für Strafrecht an verschiedenen italienischen Universitäten, untersucht wissenschaftlich die Problematik der Bekämpfung von OK und Korruption. Die im Artikel von ihm genannte Quelle ist Europol (Strafverfolgungsbehörde der EU).
“Die Geschichte – das sind wir“. (Darstellung von Totò Riina, Boss der Bosse der Cosa Nostra, verstorben 2017)