Das Erfolgsrezept der Mafia: Unsichtbarkeit

Ihr Verfechter: Bernardo Provenzano.

Am 13.7.2016 verstarb im Alter von 83 Jahren in einem Mailänder Krankenhaus Bernardo Provenzano, die Nummer 1 der Cosa Nostra. Sein Tod ist eine Nachricht in diesem Blog wert. Denn Provenzano, zuerst für seine Unbarmherzigkeit und Brutalität „der Traktor“ genannt, wandelte sich im Lauf seiner kriminellen Karriere zum „ragioniere“, das ist der, der sich um die Finanzen eines Konzerns kümmert, der „Buchhalter“. Der Wechsel der Spitznamen ist Indiz für den Wechsel der Strategie von Cosa Nostra. Sein Landsmann aus Corleone, Totò Riina, bis zu seiner Festnahme 1993 die Nr. 1,  hatte die Erweiterung der Macht, den Machterhalt und die Beseitigung jedes Rivalen zum Ziel, bis die Bestätigung der Urteile des Maxiprozesses im Januar 1992 zeigte, dass die Ära der Straffreiheit für Mafiosi endgültig vorbei war.

Von da an, so liest man in der italienischen Presse, wandelte sich Riinas Blutdurst in Raserei: Es folgten die zwei Jahre der blutigen Attentate (1992-93), die nicht nur den italienischen Staat, die Gesellschaft aufwühlten, sondern auch zu heftigen Auseinandersetzungen im Innern der Organisation führte. Nach dem Attentat auf Giovanni Falcone am 23. Mai des Jahres, so die Rekonstruktion der Staatsanwaltschaft Palermo, wurden Verhandlungen mit Staatsvertretern eingefädelt, um die Phase der blutigen Attentate zu beenden. Regisseur dieser Verhandlungen: Bernardo Provenzano, der auch der Cosa Nostra eine neue Strategie verordnete: Die Strategie des Untertauchens, die Strategie der Unsichtbarkeit. Was er für seine eigene Karriere zum obersten Prinzip erhoben hatte, das Untertauchen, das wurde jetzt die neue Strategie der Mafia, die hervorragende Ergebnisse erzielte.

Er selbst hat es 43 Jahre lang geschafft, von Verstecken in Sizilien aus zu operieren, einträgliche Verbindungen zu Unternehmern, Geschäftsleuten, Politikern, Vertretern der Finanzwelt, Juristen, zur Kirche, zu den Freimaurerlogen, zu den Geheimdiensten zu knüpfen und die Schicksale und vor allem die Geschäfte der Cosa Nostra zu lenken. Kronzeugen berichten, er habe mehrfach betont „Mich sucht niemand“, was deutlich macht, dass er von verschiedener Seite gedeckt wurde.

Letztes Foto von Provenzano von 1959; das Fahndungsfoto, konstruiert mit dem Computer auf der Basis des letzten Fotos, und Provenzano bei seiner Festnahme 2006.
Foto von ProvenzanoIm April 2006 gelang die Festnahme des Bosses, er wurde im Hochsicherheitsgefängnis von Parma inhaftiert zu den harten Bedingungen des „41bis“ (das Gesetz, das für gefährliche Mafiabosse und Terroristen die Isolationshaft vorsieht). Als sein Gesundheitszustand sich rapide verschlechterte, wurde er in das Hospital San Paolo von Mailand verlegt, wo er jetzt gestorben ist. Jetzt diskutiert man in den Medien, wie man seinen Besitz verstaatlichen könnte. Doch scheint keiner zu wissen, wo seine Reichtümer, die auf mehrere Milliarden geschätzt werden, versteckt sind. (Wer weiß? Angehörige von Provenzano leben in Deutschland, vielleicht würde man auch in Deutschland fündig?)

Wichtig ist seine Person auch für Deutschland, da die italienischen Mafien in unserem Land seine Strategie der Unsichtbarkeit perfektioniert haben, abgesehen von zwei „Ausrutschern“, dem Blutbad von Duisburg 2007 und der Autobombe von Berlin (März 2016, Opfer: ein Kokainhändler). Nach einem kurzen Aufschrei in den Medien versackt bei uns in Deutschland die Aufmerksamkeit und man tröstet sich wieder mit der Annahme, dass die Mafia „bei uns“ nicht existiere oder geht vielleicht sogar in ein „Mafia-Musical“, um sich an der Vorstellung, Mafia sei sizilianische Folklore, zu vergnügen.

Die deutsche Politik macht den gleichen Fehler wie die italienische: Man ignoriert, man bagatellisiert, man leugnet die Existenz der Mafia im „Mafiaparadies Deutschland“!
Dabei mahnen ernstzunehmende Experten wie der leitende Oberstaatsanwalt in Palermo, Roberto Scarpinato, endlich von dieser „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“-Einstellung wegzukommen:

„Mafia-Investitionen haben in Deutschland ja eine lange Geschichte, sizilianische Clans haben bereits in den 80er Jahren hier Geld gewaschen. Nach dem Mauerfall begannen sie, vor allem in Immobilien sowie in die Energie- und in die Müllwirtschaft zu investieren. Heute sind sie eher in der Finanzwelt aktiv. Die ‚Ndrangheta dagegen hat sich auf die Gastronomie und Hotellerie spezialisiert. (…) Wir müssen aufhören, so zu tun, als beschränke sich die Mafia auf wenige Krisenregionen. Es geht um ganze Staaten, die unterwandert werden. Indem die Mafia dort Verbündete an zentralen Stellen platziert. Das kann der Vertreter einer Schweizer Bank, ein Politiker oder ein Mailänder Spitzenanwalt sein. Ein Schulterschluss zwischen traditioneller Mafia und Funktionären. Und derzeit entwickelt sich die organisierte Kriminalität zu komplexen kriminellen Großsystemen, die undurchschaubar werden.“

(Aus einem Interview mit der SZ 2010)
‚Ndrangheta, Cosa Nostra und das „integrierte kriminelle System“

Schweigen ist Mafia
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2 Gedanken zu „Das Erfolgsrezept der Mafia: Unsichtbarkeit

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