Der Kämpfer im Vatikan: Papst Franziskus und sein mutiger Weg
Andreas Englisch arbeitet seit 1987 als Vatikan-Korrespondent für den Springer-Verlag in Rom und hat schon mehrere Bücher über die verschiedenen Päpste veröffentlicht. Sein zweites Buch über Papst Franziskus (Jorge Mario Bergoglio mit bürgerlichem Namen) „Franziskus – der Kämpfer im Vatikan“ beschäftigt sich vor allem mit den revolutionären Maßnahmen, die Bergoglio seit seiner Wahl zum Papst (März 2013) getroffen hat.
Fast 30 Jahre Arbeit in Rom, in unmittelbarer Nähe zum Vatikan und zu den Päpsten Johannes Paul II., Benedikt und Franziskus, das bedeutet Kontakt zu unzähligen Leuten, die entweder im Vatikan arbeiten oder in enger Verbindung zur Kurie und zum jeweiligen Papst stehen, darunter auch namentlich genannte Größen der italienischen Politik (z.B. Giulio Andreotti, Licio Gelli u.a.), aber auch anonym bleibende Mitglieder des römischen Hochadels, Kardinäle, Bischöfe und Mitarbeiter der mittleren Ebene der Kurie.
Das Buch ist so spannend, dass man es kaum aus der Hand legen möchte. Spannend – auch für kirchenferne Leser – sind zunächst einmal die Beschreibungen der revolutionären Einstellungen und Maßnahmen, die mit dem derzeitigen Papst verbunden sind. Die Wahl des Papst-Namens „Franziskus“ ist Programm. Wie sein Vorbild, der heilige Franz von Assisi, Nationalheiliger Italiens, sieht Bergoglio die Rolle der katholischen Kirche darin, den Armen, den Besitzlosen zur Seite zu stehen, statt die Privilegien der Reichen und derer, die sich für eine Elite halten (wie z.B. die Kurie im Vatikan)zu verteidigen. Tatsächlich lebt er dieses Programm als Papst vor: Er weigert sich z.B., im Apostolischen Palast zu residieren, bezieht zwei Zimmer im einfachen Gästehaus des Vatikans und speist in der Mensa für die Vatikan-Mitarbeiter. Als Zeitungsleser nimmt man ein solches Beispiel für den Lebens- und Regierungsstil des argentinischen Papstes zur Kenntnis und denkt vielleicht voller Anerkennung, dass der Papst Ernst macht mit seinem Bekenntnis zur Armut. Andreas Ernst aber schildert auch die Konsequenzen: Der Papst ist für jeden Mitarbeiter ansprechbar; die Mensa als traditioneller Umschlagplatz für Informationen liefert ihm Wissen über sehr vieles, was in der Kurie vor sich geht. Franziskus lässt sich nicht durch einen alles regelnden Mitarbeiterstab isolieren, wie das unter Benedikt der Fall war. Während vorher ein Präfekt entschied, wer Zugang zum Papst erhielt, bestimmt jetzt Bergoglio selber, wen er sprechen möchte. Will er telefonieren, greift er selber zum Hörer, so sei es einmal dazu gekommen, dass er auf seine Meldung „Hier spricht der Papst“ als Antwort erhielt: „Und ich bin der Kaiser von China“.
Das kleine Zimmerchen neben der Pforte, in dem Franziskus jetzt seine Gäste empfängt, soll nicht nur Bescheidenheit demonstrieren, sondern die Botschaft übermitteln, dass jetzt nicht mehr die äußere Form zähle, sondern der Inhalt der Gespräche. Dass der Autor das Innere des Vatikans bestens kennt, aber genauso auch die Denkweisen und die Vorliebe für symbolische Gesten, zeigt z.B. der Vergleich des jetzigen Audienzraums mit dem Weg durch den Apostolischen Palast, den frühere Gäste zurücklegen mussten, bis sie im Audienzsaal angekommen waren. Im Angesicht von solcher Pracht und Herrlichkeit, der der Gast auf seinem Weg begegnete, konnte er sich bei seiner Ankunft nur noch voller Demut und im Gefühl völliger Bedeutungslosigkeit vor dem Papst auf die Knie werfen. Eine solche Machtdemonstration liegt Franziskus fern.
Spannend sind auch die Ermittlungen, die der Autor anstellt, um zu begreifen, weshalb der Papst seine Weihnachtsansprache an die Kurie 2014 in eine bitterböse Strafpredigt verwandelte, in der er den Kardinälen unter anderem „spirituellen Alzheimer“ vorwarf. Der Weg führt den Autor über mehrere Informanten, mit denen er verschiedene Hypothesen diskutiert, bis er zu einer plausiblen Erklärung für die große Wut des Papstes gelangt.
Eine drängende Frage unmittelbar nach der Wahl Bergoglios war: Wie wird er es mit der Vatikan-Bank (IOR) halten? Wird er, anders als seine Vorgänger, sich den Skandalen stellen und die einzelnen Vorgänge und die darin verwickelten Personen genau unter die Lupe nehmen? Diese Kapitel machen ein Viertel des Buches aus und lesen sich wie ein Kriminalroman. Wenn der Papst die Botschaft des Jesus von Nazareth „Leichter geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt“ ernst nahm, dann musste er sich diesem Problem stellen. Die europäische Bankenaufsicht Moneyval hatte die Vatikanbank als „hochgradig kriminell“ eingestuft und sie der Geldwäsche verdächtigt. Und es ist allgemein bekannt, dass die IOR an dem betrügerisch herbeigeführten Zusammenbruch des Banco Ambrosiano (Mailand) vor 25 Jahren beteiligt war, durch den 1,1 Milliarden Dollar Kundengelder vernichtet worden waren. (Der Vatikan hat später Verantwortung übernommen, in dem er eine Entschädigung von 247 Millionen an die Gläubiger zahlte). Ein Paradestück des Buches ist der Besuch des Autors bei einem Fürsten, der von ihm, einem deutschen Journalisten, wissen will, was der Papst bezüglich der Vatikanbank vorhat. Die Unterredung selber ist für den Autor ein völliges Rätsel, und erst als einer seiner Freunde das Wort für Wort von Englisch wiedergegebene Gespräch dechiffriert, wird einiges klar. Das soll aber hier nicht verraten werden.
Die Schilderungen der Ereignisse gehen bis zum September 2015 und enden mit den Vorfällen um die „Grüne Enzyklika“, durch die die Papstgegner in der Kurie aller Welt demonstrierten: Wir sind mit diesem Papst nicht einverstanden! Damit findet ein durch-gängiges Thema seinen Abschluss: Die Feindschaften, die sich Franziskus durch seine Reformen zugezogen hat und die möglicherweise, so Englisch, zu einer Kirchenspaltung führen könnten: Er spielt den Gedanken durch, dass sich Benedikt mit Kardinälen zusammentun und eines Tages Franziskus exkommunizieren könnte, weil er „nicht katholisch“ sei, das heißt, weil er gemeinsame Sache mit „Ketzern“ mache, weil er das Sakrament der Ehe nicht anerkenne, weil er den Absolutheitsanspruch der katholischen Kirche nicht teile (Benedikt hatte stets wiederholt, nur als Katholik komme man ins Paradies), weil er die Kurie abgestraft hat (der Papst hat u.a. die bisher automatische Immunität für Vatikanangehörige abgeschafft), weil er Freundschaft mit anderen Kirchen und den Freikirchen wolle und den Islam achte. Der Autor ist der Meinung, dass den Papst bisher nur die Zustimmung und die Verehrung durch die weltweite Öffentlichkeit vor Schlimmerem geschützt hat.
Das Buch ist wirklich lesenswert. Man bekommt einen viel präziseren Eindruck von den Vorgängen im Vatikan als durch die Lektüre von einzelnen Nachrichten, die man unter tausend anderen Informationen von den Medien erhält. Englisch erzählt emotional, oft mit salopper Sprache und immer wieder mit Humor von seinen Recherchen im Vatikan. Er verhehlt nicht seine persönliche Bewunderung für den Papst aus Argentinien. Erfrischend ist seine unkomplizierte Haltung gegenüber italienischen Verhaltensweisen. Dadurch dass er immer wieder auch seine Überlegungen mitteilt, wie er in einer bestimmten Situation strategisch am besten vorgehen könnte, um an die von ihm gewünschte Information zu kommen, entsteht der Eindruck, unmittelbar am Geschehen beteiligt zu sein.
Das letzte Kapitel listet die von Franziskus eingeführten Neuerungen noch einmal in neun Punkten auf. Der Schlusssatz besteht aus einem Gebet, in dem Englisch dem Papst den Beistand Gottes wünscht. Ich habe dem Autor dieses persönliche Bekenntnis abgenommen.Andreas Englisch – Franziskus, der Kämpfer im Vatikan 2015 (374 Seiten)
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