Börsenbeben erreicht Europa

In der Börsen-Sprache wird das Geschehen als als «Schafherden-Effekt» bezeichnet – eine Panikreaktion. Vielleicht handelt es sich bei den fallenden Kursen um längst fällige Kurskorrekturen? Die Börsenkurse befinden sich auf Talfahrt. In China brechen die Börsenkurse weiter ein. Das hat Folgen, auch für die Konjunktur und die Verbraucher hierzulande. Das Beben der asiatischen Börsen hat Europa erreicht. Nachdem am Montag die Aktienkurse in Shanghai um neun Prozent eingebrochen waren, ging es auch hier bergab. Der Deutsche Aktienindex fiel unter die 10 000-Punkte-Marke, die er im Juni vergangenen Jahres erstmals durchbrochen hatte. Währungen Asiens, Afrikas und Lateinamerikas gerieten weiter unter Druck, Rohstoffe verbilligten sich, von Öl über Kupfer bis Aluminium.

Stephan Kaufmann berichtet: Der US-Index Dow Jones begann den Handel mit einem Minus von über sechs Prozent. Was sind die Gründe für die Talfahrt, welche Folgen hat sie für die hiesige Konjunktur, und wie sind die Bundesbürger betroffen?

Die Ursachen
US-Zinserhöhung: In den USA wird die Zentralbank Fed voraussichtlich bald die Zinsen erhöhen – erstmals seit 2006. In den vergangenen Jahren hatte die Fed das globale Finanzsystem mit Massen von billigem Geld versorgt. Doch die bessere Konjunktur Amerikas rechtfertigt nicht länger ein derartiges Doping. Folge des Zinsschritts wären höhere Zinsen in der ganzen Welt. Die Schweizer Bank UBS schätzt, dass die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen Ende 2016 bei zwei Prozent liegen wird. Derzeit sind es 0,6 Prozent. Höhere Zinsen machen Kredite teurer und belasten die Konjunktur. US-Dollar-Anlagen würden durch den Zinsschritt für Anleger attraktiver, was zu einer Kapitalflucht aus den Schwellenländern führen könnte.

China: In der Volksrepublik kühlt sich der Wirtschaftsboom langsam ab. Die große Frage ist: Wie stark? Die meisten Ökonomen sind der Ansicht, dass sich das Wirtschaftswachstum bei Werten knapp unter sieben Prozent stabilisieren wird. Eine sogenannte „harte Landung“ jedoch würde jene Länder und Unternehmen hart treffen, die in den vergangenen Jahren besonders vom China-Boom profitiert hatten.

Die Folgen
Rohstoffe: China ist ein wichtiger Kunde für Rohstoffexporteure, das Land ist der größte Nachfrager von Öl und Kupfer. Sorgen um Chinas Konjunktur führen zu einem latenten Überangebot bei Energie und Industriemetallen. Das lässt die Rohstoffnotierungen taumeln. Der Ölpreis hat sich auf Jahressicht halbiert, Kupfer und Aluminium haben ein Viertel eingebüßt.

Schwellenländer: Aktien und Währungen vieler Schwellenländer verzeichnen heftige Verluste. Die Aussicht auf steigende Zinsen in den USA lässt das Kapital fliehen. Schwächeres Wachstum in China trübt die Konjunkturaussichten ein. Dazu kommen sinkende Erlöse aus dem Rohstoffexport.

Deutschland: Der deutsche Export ist stärker von China und den Schwellenländern abhängig als der anderer großer Industriestaaten. Der Deutsche Aktienindex ist daher in den vergangenen Wochen tiefer gefallen als andere Börsenindizes. Derzeit liegt er 23 Prozent unter seinem Rekordhoch vom April. Besonders getroffen sind die deutschen Autobauer, für die China der wichtigste Markt geworden ist. Während der Dax in den letzten drei Monaten um 19 Prozent gesunken ist, haben Daimler- und BMW-Aktien mehr als ein Viertel verloren, VW sogar über 30 Prozent.

Diese Korrektur halten die meisten Ökonomen für übertrieben, da Chinas Wirtschaft sich wohl nur abkühlt und nicht abstürzt. Das würde die deutsche Konjunktur kaum treffen, da Nachfrageausfälle in China durch eine Erholung in der Euro-Zone oder in den USA ausgeglichen werden könnten. Dennoch „ist China der größte Risikofaktor für die Euro-Zone“, so die Schweizer Bank UBS. Kommt es durch die Kombination von höheren US-Zinsen und schwächerer China-Konjunktur zu einer Krise in den Schwellenländern, könnte sich die deutsche Wirtschaft dem nicht entziehen. „Wir sehen Abwärtsrisiken vor allem für unsere 2016er Wachstumsprognose“, so die Commerzbank.

Die deutschen Verbraucher dürften von den Turbulenzen einerseits profitieren, da sich Rohstoffe wie Öl weiter verbilligen. Das senkt tendenziell die Rechnung fürs Tanken und Heizen. Die Kursverluste an den Börsen treffen zwar die Aktionäre – doch von denen gibt es in Deutschland nicht allzu viele. Nach Berechnungen des Deutschen Aktieninstituts ist die Zahl jener, die direkt oder über Investmentfonds Aktien halten, 2014 auf 8,4 Millionen gesunken. Im Jahr 2001 waren es noch fast 13 Millionen. Aktienfonds und börsennotierte Aktien machen gerade mal 3,5 Prozent des gesamten deutschen Geldvermögens aus. Auch die Lebensversicherer könnten einen dauerhaften Kursrutsch verkraften, ihre Aktienquote liegt laut Branchenverband GDV nur bei knapp drei Prozent.

Ob es mit den Kursen allerdings überhaupt auf Dauer abwärts geht, scheint derzeit eher unwahrscheinlich. Denn die Europäische Zentralbank stellt weiterhin massenhaft Geld zur Verfügung, das an die Finanzmärkte fließt und Rendite sucht. Dabei sind Anleihen kaum eine Konkurrenz für Aktien: Zehnjährige Bundesanleihen rentieren derzeit mit etwa 0,6 Prozent, die Dividendenrendite für Dax-Unternehmen liegt dagegen dank steigender Unternehmensgewinne bei drei Prozent, errechnet die WGZ-Bank.

Rudolf Schuppler www.w-t-w.org/en/cartoon/rudolf-schuppler

Rudolf Schuppler
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