In Palermo finden zur Zeit die Gerichtsverhandlungen der zweiten Instanz des Prozesses „zur Trattativa“ statt.
Im Urteil der ersten Instanz vom August 2018 wurde „die rechte Hand von Berlusconi“, Marcello Dell’Utri, der schon in letzter Instanz (2014) wegen Beihilfe zur Mafia verurteilt ist und die entsprechende Gefängnisstrafe absitzt, nun erneut zu 12 Jahren Haft für seine Beteiligung an den Verhandlungen zwischen italienischem Staat und Mafia verurteilt.
Dell’Utris Anwälte haben das Gericht aufgefordert, Silvio Berlusconi im jetzigen Verfahren als Zeugen vernehmen zu können.
Zwar geben die Richter der ersten Instanz in ihren „Urteilsbegründungen“ zu, dass es keinen direkten Beweis dafür gebe, dass Dell’Utri die Drohung der Cosa Nostra an B. weitergeleitet habe, „denn nur die beiden kennen den Inhalt ihrer Gespräche, die sie geführt haben, aber es gibt logisch-sachliche Gründe, die keinen Zweifel daran lassen, dass Dell’Utri B. alles berichtet hat, was sich von Mal zu Mal aus seinen Beziehungen zur kriminellen Organisation Cosa Nostra (…) ergeben hat.“
Außerdem betont das Gericht, dass die Vermittlerfunktion Dell’Utris zwischen Cosa Nostra und B. sich nicht nur auf die Zeit beschränkte, in der B. Unternehmer war, sondern „ohne Unterbrechung weiterging“, auch als B. zum Politiker und Regierungschef wurde. Außerdem sei Dell’Utri der Garant dafür gewesen, dass die beträchtlichen Zahlungen, die B. regelmäßig an die Adresse der Cosa Nostra gerichtet hatte, auch weiterhin flossen.
Die Überlegung der Anwälte Dell’Utris dürfte gewesen sein, wenn B. vor dem Gericht behauptet, dass es eine Erpressung des Regierungschefs B. nie gegeben habe, wie er es bei einer Pressekonferenz nach der Urteilsverkündigung im August letzten Jahres getan hat, dann könnte dies die Situation Dell’Utris im Prozess enorm verbessern.
Aber was passiert? B., dem es bisher stets gelungen ist, wegen wichtiger Geschäfte (dieses Mal als Europa-Abgeordneter), sein Erscheinen in dem symbolträchtigen Gerichtssaal, der „Aula Bunker dell‘ Ucciardone“ von Palermo, zu verhindern (1), verbietet Aufnahmen, setzt sich, verkündet, dass er von der Möglichkeit, nichts zu sagen, Gebrauch machen wird – und entschwindet (2). Die Anwälte versuchen noch, das Gericht von der Notwendigkeit zu überzeugen, die o.g. Pressekonferenz im Gerichtssaal vorzuführen, aber vergebens. Das Gericht ist der Meinung, die Aula Bunker sei ein Gerichtssaal und kein Fernsehstudio, und außerdem seien die Aufnahmen schon zu den Gerichtsakten genommen worden, so dass keine Notwendigkeit bestehe, sie während der Verhandlung anzusehen – und das war’s dann!
Hinzuzufügen ist, dass B. die Möglichkeit hatte, nichts zu sagen, da er nicht als Zeuge geladen war. In diesem Fall hätte er aussagen und die Wahrheit sagen müssen. Da man aber in Florenz in einem Verfahren, das mit dem Prozess von Palermo zusammenhängt, gegen ihn ermittelt (3), hatte er die Möglichkeit zu schweigen, was er übrigens in Dell’Utris erstem Verfahren wegen Zusammenarbeit mit der Cosa Nostra schon einmal getan hat.
Deshalb gibt es jetzt mehrere Leute, die hoffen, dass Dell’Utri zutiefst enttäuscht ist über den zweiten Treuebruch seines angeblich so guten Freundes Berlusconi – und seinerseits anfängt zu reden. Das wäre dann der von der italienischen Antimafia so ersehnte Kronzeuge von Staats wegen. Allerdings hat auch der Mafiaboss Vittorio Mangano, der in B.s Villa, angeblich als Stallmeister, beschäftigt war, bis zu seinem Ende geschwiegen und sich mit einem Grabstein zufriedengegeben, auf dem sein Schweigen als große Tugend gelobt wird: „Er weigerte sich, seine Würde gegen die Freiheit einzutauschen.“ Vielleicht ist ja auch Dell’Utri den Gesetzen der Cosa Nostra treu bis in den Tod?…Antimafiaduemila.com
- Der Gerichtssaal im Keller des Gefängnisses Ucciardone von Palermo wurde eigens für den sog. Maxiprozess gebaut, in dem 475 Mafiosi angeklagt waren, von denen die meisten 1992 auch tatsächlich verurteilt wurden – zum ersten Mal in der italienischen Justizgeschichte!
- Wer sich B.s Auftritt ansehen möchte, wobei nur Schuhe und Hosenbeine zu sehen sind:
- In Florenz wird gegen B. wegen der „gesamten Attentats-Strategie der Cosa Nostra“, wegen der drei Attentate in Mailand, Florenz und Rom (1993), wegen des missglückten Attentats auf das Olympiastadion (1994), wegen des missglückten Attentats auf den Fernsehmoderator Maurizio Costanzo (1993) ermittelt – und das sind nur die wichtigsten Anklagepunkte! Nachdem das Verfahren wegen dieser Anklagepunkte schon zweimal eingestellt worden war, haben in jüngster Vergangenheit abgehörte Aussagen eines hochrangigen Mafiabosses (Giuseppe Graviano) zu einer Neuaufnahme des Verfahrens geführt.