Endlich! Der Sohn eines Camorra-Bosses distanziert sich!

Neapel: Meist liest man davon, dass sich
die Bevölkerung mit der Camorra solidarisiert und Kriminelle vor dem Eingreifen der Polizei schützt. Deshalb grenzen die Ereignisse der letzten Woche für den Beobachter von außen an ein Wunder:

Am 3.5.2019 werden in Neapel bei einer Schießerei am helllichten Tag und auf offener Straße 3 Personen verletzt: Rosario Piccirillo, Camorra-Boss, hat es auf einen Gegner abgesehen und gibt mehrere Schüsse ab. Dabei werden auch ein vierjähriges Mädchen und seine Großmutter verletzt, die am Tisch eines Straßencafés gesessen hatten. Das Kind schwebt immer noch in Lebensgefahr. Vertreter der Stadtregierung organisieren darauf mit Bürgern ein Sit-in mit dem Titel „Weg mit den Waffen in Neapel“, an dem mehrere Hundert Personen teilnehmen. In der Kundgebung meldet sich auch ein junger Mann zu Wort, der ein Spruchband mit einer eindeutigen Botschaft hochhält: „Die Camorra ist ein Haufen Scheiße“ (1). Er greift zum Mikrofon und outet sich als Sohn des für die Schießerei verantwortlichen Camorra-Bosses:

„Ich bin Antonio Piccirillo, Sohn von Rosario Piccirillo, der leider für sein Leben falsche Entscheidungen getroffen hat. Er ist ein Camorrista, das sagen mir jedenfalls die Medien, die Gerichte, die Zeitungen, die Institutionen. Ich habe eine Botschaft für uns, die Kinder von solchen Leuten sind: Liebt Eure Väter, aber distanziert euch auf jeden Fall von deren Lebensstil. (…) Andernfalls seid ihr vorverurteilt für Euer ganzes Leben. Wenn wir Kinder keine Schritte vorwärts in eine positive Richtung machen, bleiben wir in dieser Kultur stecken, die keine Vorteile hat, die ohne Ethik ist, ohne Werte, die einfach gar nichts bietet. (2) (Unverständliche Passage …) weil es Leute gibt, die behaupten, die Camorra von vor 50 Jahren sei besser gewesen als die von heute. Die Camorra ist ekelhaft, ist schon immer abscheulich gewesen. (…) Ich wende mich an brave Leute, an Leute, die Respekt vor anderen haben, während die Camorristi vor niemandem und nichts Respekt haben. (3) Ich danke euch vielmals und wünsche noch einen schönen Tag.“

Daraufhin wird der junge Mann von mehreren Medienvertretern interviewt. Daraus stammen die folgenden Zitate

„Das Leben eines Camorrista wird falsch beschrieben, z.B. in Gomorra (4), weil nur Ausschnitte eines solchen Lebens beschrieben werden. Ein Camorrista, auch wenn er als Krimineller große Erfolge vorweisen kann, ist ein Versager. Das Leben eines Camorrista ist ein Leben ohne Sinn, ein Hundeleben“

„Ich habe angefangen dieses Leben zu hassen, als ich mit der Schule fertig war. In der Grund- und Mittelschule hat mir meine Mutter ständig Lügen über meinen Vater erzählt. Einmal war er Bauunternehmer, dann Rechtsanwalt, in Wahrheit saß er im Gefängnis. Nach mehreren Jahren habe ich mich bei meinen Freunden entschuldigt, dass ich ihnen lauter Lügen erzählt hatte.“

„Wer die eigenen Kinder zu einem Leben voller Leiden verdammt, taugt zu nichts, taugt noch nicht einmal zum Vater. Ich will für mich und meine Kinder ein Leben, das diesen Namen verdient, ein Leben, in dem ich mich nicht verstecken muss, ein Leben, das ich erhobenen Hauptes führen kann!“

Bravo Antonio!

  1. Damit zitiert er einen Antimafia-Aktivisten der 70er Jahre, Peppino Impastato aus Cinisi in Sizilien, der am 9. Mai 1978 von Cosa Nostra ermordet worden ist.
  2. An dieser Stelle hört man „Nein“-Rufe aus dem Publikum
  3. Hier hört man Bravo- und Grazie-Rufe
  4. Buch über die Camorra von Roberto Saviano, inzwischen gibt es auch eine Fernsehserie mit dem gleichen Titel