Italien: Streit um die strengen Haftbedingungen für Mafiabosse

Gennaro Migliore, Mitglied der Regierungspartei Partito democratico und Staatssekretär im Justizministerium, gibt nach seinem Besuch im Hochsicherheitsgefängnis von L’Aquila Ende Juni eine Pressekonferenz und entfacht mit seinen Äußerungen einen heftigen Streit in den Medien. Der Artikel 41 bis, der besonderes strenge Haftbedingungen für Terroristen und Mafiabosse vorsieht, müsse auf jeden Fall beibehalten werden, so Migliore, aber man müsse auch neu darüber nachdenken – auch für Häftlinge in Isolationshaft gälten Menschenrechte und Menschenwürde. Außerdem hatte er vor der Presse offenbar nicht deutlich gemacht, dass sein Vorschlag, SKype-Telefonate zu erlauben, nur für normale Häftlinge gelte.

Seit Anfang Juli melden sich nun verschiedene Gruppen zu Wort. Losgetreten hatte den Streit ein Artikel der Tageszeitung „Il fatto quotidiano“: „Die Regierung der laxen Haftbedingungen – Geben wir den Bossen Skype!“ Der Autor betont, dass dieser Vorschlag der grundlegenden Intention des Gesetzes, jeden Kontakt eines Mafia-Bosses zu seinem Umfeld unmöglich zu machen, diametral entgegenstehe.

Für die Antimafiarichter sei hier Gian Carlo Caselli zitiert, der darauf hinweist, dass die Isolationshaft für Mafiabosse „mit dem Blut von Falcone und Borsellino“ bezahlt worden sei. Tatsächlich hatte die italienische Regierung nur 16 Tage nach dem Attentat auf den Antimafiarichter Falcone bei Capaci (23. Mai 1992) ein Dekret erlassen, das ein für Terrorismus, Revolutionen und ähnliche Notlagen schon vorhandenes Gesetz auf gefährliche Mafiabosse ausdehnte. Kurz darauf (19.Juli 1992) jagte eine weitere Bombe den zweiten Protagonisten des Maxiprozesses, den Antimafiarichter Paolo Borsellino, mit seiner Eskorte in die Luft., Anlass genug für die Regierung, das Dekret in ein Gesetz umzuwandeln.

Davor, so Caselli, konnten Mafiabosse ihren Aufenthalt im Gefängnis sich so angenehm wie möglich gestalten, „mit Austern und Champagner“, und vor allem konnten sie ihre Rolle als Boss behalten, ihre Geschäfte weiterführen und aller Welt beweisen, dass sie mächtiger waren als der italienische Staat. Deshalb Caselli: Solange es die Mafia gibt, kann man auf die Hochsicherheitshaft nicht verzichten.
Auch Vertreter der Bewegung 5 Sterne, deren Position in der italienischen Politik durch die Wahlsiege bei den Bürgermeisterwahlen gestärkt worden ist, äußerten sich „entsetzt über den Leichtsinn“, mit dem die Regierungspartei von Matteo Renzi über eine Reform des 41 bis nachdächte.

Die heftigen Reaktionen auf den Vorschlag des Staatssekretärs sind zu sehen vor der grundsätzlichen Auseinandersetzung zwischen Antimafia-Vertretern und einer Politik, die die Einhaltung der Mafia-Regel des Schweigens (die „omertà“) einer mutigen Stellungnahme vorzieht und die den Kampf gegen die Mafia bisher nicht ins Parteiprogramm aufgenommen hat. Außerdem sind Teile der Öffentlichkeit sehr empfindlich geworden, weil die Antimafia-Gesetzgebung der 90er Jahre von den folgenden Regierungen an verschiedenen Stellen verwässert oder gar zurückgenommen worden ist, was u.a. als Beleg gewertet wird für die Existenz der „trattativa“, den Verhandlungen zwischen italienischem Staat und Vertretern der Cosa Nostra, die seit 2 Jahren Gegenstand eines Prozesses in Palermo ist.

“Gegen den Artikel 41 bis”

Gegen den Artikel 41 bis

 

 

 

 

www.ilfattoquotidiano.it/premium/articoli/il-governo-del-carcere-molle-diamo-skype-ai-boss-reclusi/

Zum Prozess zur „trattativa“ gibt es einen aktuellen englischen Dokumentarfilm
mit Helen Mirren.


Und aus Italien der Kommentar zum Film von Saverio Lodato,
Journalist und Mafia-Experte

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