Geschlechterspezifische Auswirkungen lassen sich auch im Fall der globalen Steuerflucht festmachen. Alternative ökonomische Ansätze finden kaum Gehör
Es ist das größte Daten-Leak, mit dem JournalistInnen bisher gearbeitet haben: Die sogenannten Panama-Papers bieten Einblick in ein globales System von Kapitalflucht, Steuerhinterziehung und Geldwäsche, verwaltet von der Kanzlei Mossack Fonseca. Unter den prominenten Namen, die bisher von der „Süddeutschen Zeitung“ und dem JournalistInnen-Netzwerk ICIJ in den über elf Millionen Dokumenten aufgefunden wurden, finden sich überwiegend mächtige Männer – Politiker, aber auch bekannte Persönlichkeiten aus Sport und Kultur (es gilt die Unschuldsvermutung).
Feministische Ökonomie
Brigitte Theiß berichtet: Würden sich solche Geschichten anders schreiben, säßen an den Schaltzentralen der Macht Frauen statt Krawattenträger? „If Lehman Brothers had been Lehman Sisters, run by women instead of men, would the credit crunch have happened?“, so formulierte es Ruth Sunderland 2009 in einem Artikel im „Guardian“. Auch wenn diese Frage seit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, die 2007 in den USA ihren Ausgang nahm, zumindest medial immer wieder gestellt wird – für die feministische Ökonomie ist sie in dieser Form nicht von Relevanz. „Wir arbeiten nicht mit biologistischen Zuschreibungen oder Mutmaßungen, ob Frauen weniger risikofreudig oder mitfühlender als Männer sind. Es geht vielmehr um eine kritische Analyse struktureller Fragen“, sagt Katharina Mader, Wissenschafterin am Institut für Institutionelle und Heterodoxe Ökonomie der Wirtschaftsuniversität Wien.
Globale Ungleichheit
Geschlechterspezifische Auswirkungen lassen sich jedoch auch im Fall der globalen Steuerflucht festmachen, die aktuell im Scheinwerferlicht steht. Martina Neuwirth, entwicklungspolitische Expertin am Wiener Institut für internationalen Dialog und Zusammenarbeit, legt dies am Beispiel von Ländern des Globalen Südens dar. „Wir wissen aus verschiedenen Studien, dass ärmere Entwicklungsländer überproportional stark betroffen sind, wenn es um Kapitalflucht, um Steuerflucht, Korruption und Steuervermeidung geht“, sagt die Ökonomin.
Diese Staaten seien zudem gegenüber Unternehmen, die Investitionen tätigen und im Gegenzug Steuervergünstigungen fordern, in einer besonders schwachen Verhandlungsposition. „Das hat dann Auswirkungen auf die Finanzierung des öffentlichen Sektors und in weiterer Folge auf Frauen, weil diese in einem höheren Ausmaß von einem funktionierenden Sozialsystem, vom Bildungs- und Gesundheitssystem abhängig sind“, so Neuwirth.
Unfaires Finanzsystem
Ökonomische Ungleichheit verläuft auch beim Vermögen – neben weiteren Faktoren – entlang einer Geschlechter- und einer Nord-Süd-Achse: Die internationale Hilfsorganisation Oxfam legte Anfang des Jahres einen Bericht vor, wonach die 62 reichsten Menschen der Erde (53 davon Männer) so viel Vermögen besitzen wie die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. In der Studie appellierte Oxfam an Regierende sowie an Unternehmen, die Gewinne in Steueroasen verschieben, Verantwortung zu übernehmen und ein faires Wirtschafts- und Finanzsystem zu schaffen. Bereits erfolgte Maßnahmen wie ein automatischer Austausch von Steuerinformationen innerhalb, aber auch außerhalb Europas erschweren Steuerhinterziehung zwar zusehends, nationale Interessen würden aber immer wieder gut gemeinte Reformansätze verwässern, sagt Martina Neuwirth: „Der britische Premier Cameron hat zum Beispiel immer darauf geschaut, dass Trusts nicht angetastet werden, Österreich hat sehr lange mit der Berufung auf die Wettbewerbsfähigkeit am Bankgeheimnis festgehalten – jede Regierung versucht also, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen.“
Zahlen und Formeln
Auch Brigitte Young, emeritierte Professorin für internationale politische Ökonomie an der Universität Münster, pocht auf die Notwendigkeit gemeinsamer, globaler Regelungen. Young ist eine der wenigen feministischen Ökonominnen, die sich auf Finanzmarktpolitik spezialisiert haben. Auf großen ökonomischen Konferenzen sei sie oft die einzige Teilnehmerin, die einen Vortrag zu einem feministischen Thema hält – auch weil sich Genderforscherinnen zu wenig für die Finanzwirtschaft interessieren würden, kritisiert Young. Eine genderspezifische Erforschung der Finanzmärkte werde unter anderem von den mangelnden Daten erschwert, den Blick auf ihr Forschungsgebiet beschreibt die in den USA ausgebildete Ökonomin ähnlich wie ihre Wiener Kollegin Katharina Mader: „Es geht nicht darum, ob Finanzmärkte männlich sind, es geht um die dahinterliegenden Modelle.“ In der gegenwärtigen Ökonomie, die überwiegend auf mathematischen Modellen aufbaue, bleibe die Realität außen vor. „Die Finanzmärkte müssen wieder der Realökonomie dienen – und das tun sie trotz Finanzmarktreformen nicht“, sagt Young.
Karrierekiller Feminismus
Obwohl die Kritik am neoliberalen Kapitalismus spätestens seit der Finanz- und Wirtschaftskrise und einer breiten Klimawandeldebatte eine Popularisierung erfahren hat, ist die heterodoxe Ökonomie – also Theorien, die sich außerhalb des neoklassischen Mainstreams verorten – an deutschsprachigen Universitäten alles andere als fest verankert. Die Wiener Wirtschaftsuniversität stellt trotz der Einsparung der ordentlichen Professur mit ihrem eigenen Institut für Institutionelle und Heterodoxe Ökonomie einen Ausnahmefall dar.
„Wir können uns glücklich schätzen, aber es ist ein ständiger Kampf ums Weiterbestehen“, sagt Mader. Die feministische Ökonomie als Teil der heterodoxen Ökonomie hänge wiederum an engagierten Einzelpersonen – denn einer wissenschaftlichen Karriere, die auf zahlreichen Publikationen in renommierten wissenschaftlichen Journals fußt, stehe sie oftmals im Weg. Selbst innerhalb alternativer ökonomischer Schulen müsse eine feministische Perspektive immer wieder hineinreklamiert werden. „Das Thema Ungleichheit hat in den vergangenen Jahren sehr wohl breitere Beachtung gefunden, etwa durch die Publikationen von Piketty oder Stiglitz, aber Geschlechterverhältnisse bleiben auch bei den großen Autoren außen vor“, sagt Mader.
Verdrängte Geschlechterfragen
Doch Kritik an einer einseitigen Ausrichtung der Lehre in der Volkswirtschafts- und Betriebswirtschaftslehre kommt mittlerweile auch von Studierenden. Aus einem Prostest an der Pariser Sorbonne entwickelte sich ein internationales Netzwerk für plurale Ökonomik. „Die fehlende intellektuelle Vielfalt beschränkt nicht nur Lehre und Forschung, sie behindert uns im Umgang mit den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts – von Finanzmarktstabilität über Ernährungssicherheit bis hin zum Klimawandel“, ist in einer Erklärung zu lesen. Sowohl Brigitte Young als auch Katharina Mader sehen hier einen wichtigen Hebel für Veränderungen – die sie sowohl im Wissenschaftsbetrieb als auch in wirtschaftspolitischen Debatten vermissen. „Die Wirtschaftskrise hat vielfach als Ausrede gedient, um sich Gleichstellungsfragen nicht widmen zu müssen – weil es ja wichtigere Dinge gebe“, sagt Katharina Mader.
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